Es stimmt, über wenige historische Epochen ist so viel geforscht worden wie über die Zeit des Nationalsozialismus. Allerdings: Darüber, wie die die NS-Diktatur im Alltag funktioniert hat, was sie mit den Menschen gemacht hat, wie sie vor Ort das Leben verändert und geprägt hat, zwischen 1933 und 1945 und darüber hinaus – darüber wissen wir immer noch zu wenig. Tatsächlich gibt es auch im Jahr 2020 noch Städte in Deutschland, in deren Geschichten die NS-Zeit praktisch nicht vorkommt. Hier wollen wir dagegenhalten – „sine ira et studio“, aber in der Überzeugung, dass Geschichtswissenschaft der Gegenwart, gerade in unseren aufgeregten Zeiten, ein Stück weit Orientierung an die Hand geben kann.

Es stimmt, es gibt größere und vermutlich wichtigere Städte als Neustadt an der Weinstraße. Allerdings: Neustadt ist mit dem Hambacher Schloss ein zentraler Ort der deutschen Demokratiegeschichte und könnte es nicht spannend sein zu fragen, wie gerade so eine „Demokratiestadt“ durch die Zeit des Nationalsozialismus kommt? Außerdem: Das kleine Neustadt war zwischen 1927 und 1940 Hauptstadt eines NSDAP-Gaues, also prinzipiell auf gleicher Ebene wie Karlsruhe, Kiel, Köln, München oder Berlin, und zwar eines ziemlich bedeutenden an der Grenze zu Frankreich. Und schließlich ist Neustadt ein markantes Beispiel dafür, dass kulturelle und regionale Identität in Deutschland auch am Beginn des 21. Jahrhunderts oft noch stark mit der Zeit des Nationalsozialismus verbunden sind. Denn immerhin hieß Neustadt bis 1936 Neustadt an der Haardt und wurde erst vom NS-Regime durch die „Erfindung“ der „Deutschen Weinstraße“ und der „Deutschen Weinkönigin“ sozusagen zur deutschen Weinmetropole erhoben. Hier wollen wir ansetzen und das Besondere des Neustadter Raums für eine am Alltag der Menschen interessierte NS-Geschichte in Augenschein nehmen.

Es stimmt, mit der Geschichtsschreibung ist das so eine Sache. Allerdings: Wir versuchen die Tradition mit den Anforderungen unserer Gegenwart in Einklang zu bringen. Deswegen haben wir zum Thema „Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus“ seit Dezember 2017 mehr als zwei Jahre lang europaweit geforscht und dann zunächst in Anlehnung an die aktuelle Volksgemeinschaftsforschung ein wissenschaftliches Buch verfasst. Darauf aufbauend wurde eine Ausstellung konzipiert, die vom 12. Dezember 2020 bis 31. Januar 2021 in der Villa Böhm in Neustadt aufgebaut sein wird, und schließlich haben wir diese Website erstellt. Sie bietet eine einmalige Zusammenschau der digitalisierten Ausstellung sowie eines Lexikons, eines Zeitzeug*innenarchivs und eines Schulbuches zur Neustadter NS-Geschichte. Denn wir wollen zeigen: Bücher sind wichtig und zugleich kann Geschichtsschreibung noch mehr.

Wir sind ein Team von Geschichtsstudierenden, historisch Interessierten, Geschichtsdidaktikerinnen und Fachwissenschaftler*innen, das der Arbeitsbereich Zeitgeschichte (Prof. Dr. Michael Kißener) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz koordiniert.

Verantwortliche

Projektleitung und -koordination: Markus Raasch

Ausstellung: Veronica Andres, Franziska Kaiser, Helena Knuf, Miriam Maslowski, Felix Paul Maskow, Yellah Niehaves, Katja Schmaglinski, Tobias Sewerin und Julia Tilentzidis

Lexikon: Martin Hanisch

Zeitzeug*innen-Archiv: Kathrin Kiefer

multimediales Schulgeschichtsbuch: Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Prof. Dr. Meike Hensel-Grobe), namentlich: Katharina Kaiser, Clara-Louise Noffke, Caroline Klausing und Meike Hensel-Grobe.

Hier können Sie sich die Projektpräsentation mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer ansehen, die am 10. Dezember 2020 live aus der Neustadter Stiftskirche übertragen wurde: https://www.youtube.com/watch?v=ADp2J_Evnw4&feature=youtu.be