Die „Reichspogromnacht"

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten jüdische Synagogen in ganz Deutschland. Angehörige von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) zertrümmerten die Schaufenster jüdischer Geschäfte, demolierten die Wohnungen jüdischer Bürger und misshandelten ihre Bewohner. 91 Tote, 267 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser und 7.500 verwüstete Geschäfte - das war die „offizielle" Bilanz des Terrors. Tatsächlich starben während und unmittelbar in Folge der Ausschreitungen weit mehr als 1.300 Menschen, mit mindestens 1.400 wurden über die Hälfte aller Synagogen oder Gebetshäuser in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder ganz zerstört.

Die Weisung zu dem Pogrom war von München ausgegangen, wo sich die Führung der NSDAP zum Gedenken an den 15. Jahrestag des Hitler-Putsches versammelt hatte. Als Vorwand des von ihnen als angeblich spontanen Akt des „Volkszorns" deklarierten Terrors nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung des Legationssekretärs an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den erst siebzehnjährigen Herschel Grynszpan. Er wollte so auf die Abschiebung von 17.000 polnischen Juden, zu denen auch seine Eltern zählten, nach Polen aufmerksam machen. Die aufgrund der zerstörten Schaufensterscheiben bald als „Reichskristallnacht" bekannt gewordenen Ausschreitungen waren bis dahin der Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus. [...]

Das NS-Regime deklarierte den von der NSDAP gesteuerten Pogrom als „berechtigte und verständliche Empörung des deutschen Volkes", die nach der weiteren Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben rief. Am 10. November wurden mehr als 30.000 männliche Juden in Konzentrationslager (KZ) verschleppt. Zunehmende Entrechtung, Enteignungen und „Zwangsarisierungen" sollten die Juden zur Auswanderung zwingen. Nach dem „öffentlichen" Novemberpogrom 1938 erhielt die Verfolgung einen neuen Charakter: Nun begann die „stille" Eliminierung der Juden.

aus: Carola Jüllig, Das Novemberpogrom 1938, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin 16. Oktober 2009 (Kürzungen von Katharina Kaiser).