„Arisierung“

Anordnung an die Polizei zur Kennzeichnung jüdischer Geschäfte vom 31. August 1938. Foto: Stadtarchiv Neustadt, JB (Nr. 103), Antijüdische Maßnahmen (1933-1945).

von Walter Rummel

Der NS-Begriff „Arisierung“ meinte die Überführung der Geschäfte und Betriebe der in Deutschland lebenden Juden an Angehörige der „arischen Rasse“, die nach den Nürnberger Rassegesetzen (1935) als „blutsmäßig“ deutsch galten. Bereits im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 war dieser Ansatz enthalten. Zugrunde lag die Behauptung, dass die Juden ihren wirtschaftlichen Erfolg „unehrlichen“ Praktiken verdankten. Insbesondere die von Juden gegründeten Großkaufhäuser galten als Inkarnation einer für den „ehrlichen deutschen Kaufmann“ ruinösen Praxis. Es handelte sich hierbei um wirklichkeitsfremde Vorstellungen, die im späten 19. Jahrhundert entstanden, als maßgebliche Teile der bürgerlichen Gesellschaft des wilhelminischen Kaiserreichs, getrieben von Sozialneid und Konkurrenzängsten, damit begannen, die Emanzipation der Juden verbissen zu bekämpfen. Aus rechtlichen Gründen beschränkte sich das NS-Regime nach der Machtübernahme zunächst auf Schikane, indem die SA Inhaber und Kunden jüdischer Geschäfte einzuschüchtern versuchte (Boykott vom 1. April 1933). Zudem wurde über die Banken die Kreditvergabe an jüdische Betriebe früh zum Druckmittel einer erzwungenen Geschäftsaufgabe. Mit der Änderung des Staatsbürgerrechts im Rahmen der „Nürnberger Gesetze“ konnte man ab 1935 die Ausübung der freien Berufe, insbesondere die Tätigkeit von Anwälten und Ärzten, stark einschränken. Juden, die infolgedessen auswandern wollten, wurde aufgrund einer Verschärfung von devisenrechtlichen Vorschriften der Weimarer Republik („Reichsfluchtsteuer“ von 1931) ein zunehmender Teil ihres Vermögens weggenommen, desgleichen durch die als Sühneleistung für das Pariser Attentat deklarierte „Judenvermögensabgabe“. 1938 forcierte das Regime die „Arisierung“. Mit der „Verordnung zur Anmeldung jüdischen Vermögens“ (26. April 1938) war die Grundlage für Maßnahmen gelegt, die die Schließung bzw. den Verkauf aller jüdischen Geschäfte und das weitgehende Verbot jeglicher freiberuflicher Tätigkeit Ende 1938/Anfang 1939 herbeiführten („Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938) und den Verkauf von Geschäftseigentum, Grundstücken, Kunstgegenständen, Schmuck und Edelmetall erzwangen („Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938). Im Rahmen der bereits ab 1939 beginnenden Deportationen wurde das noch existierende restliche Privatvermögen als „staatsfeindliches Vermögen“ enteignet bzw. ab November 1941 (11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz) als angeblich herrenloses Vermögen für „dem Reich verfallen“ erklärt.

Literatur

Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt a. M. 2005. Das Buch löste eine umfangreiche Kontroverse über die materialistische Seite der Zustimmung zur NS-Diktatur aus, rückte aber diesen Aspekt erstmals überzeugend in das Zentrum der Betrachtung, ohne damit einen monokausalen Erklärungsversuch zu beanspruchen.

Walter Rummel/Jochen Rath, „Dem Reich verfallen“ – „den Berechtigten zurückzuerstatten“. Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz 1938–1953. Koblenz 2001. Auf umfangreicher Quellengrundlage stellt der Band erstmals für Rheinland-Pfalz zentrale Vorgänge und Dokumente zur Enteignung jüdischen Vermögens und zum Bemühen um Rückerstattung bzw. Entschädigung dar.

Avraham Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933–1943. Frankfurt a. M. 1988. Das Buch kann nach wie vor als Standardwerk zur wirtschaftlichen Vernichtung der bürgerlichen Existenz der deutschen Juden gelten.

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