Propaganda gegen Jüdinnen und Juden machte die NSDAP schon lange vor 1933. Eine rassistische Judenfeindschaft bildete den Kernbestandteil ihrer politischen Botschaft. Im nationalsozialistischen Konzept Volksgemeinschaft wurde Jüdinnen und Juden die Schuld für schwere Zeiten, gesellschaftliche Zerrissenheit und wirtschaftliche Krisen zugeschrieben.
Die Ausgrenzung war offen ausgesprochener Bestandteil der Ideologie, die damit an ältere Formen der Judenfeindschaft anknüpfte. Schon vor 1933 waren diese antisemitischen Töne in Teilen der Gesellschaft lauter geworden. Auch jüdische Kinder und Jugendliche mussten sich zunehmend mit Vorurteilen, persönlichen Nachteilen und öffentlich gelebter Ausgrenzung auseinandersetzen. Mit der sogenannten „Machtergreifung“ im Jahr 1933 nahm die gesellschaftliche und politische Exklusion1 bedeutend zu und führte schließlich von der Verfolgung zu den systematischen Deportationen in die Arbeits- und Vernichtungslager. Die in Neustadt besonders ausgeprägten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte waren nur äußerer Ausdruck einer spürbaren Veränderung der Lebenswelten. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden die Synagoge und das jüdische Altersheim von Mitgliedern der SA und SS angezündet. Bei dem Brand starben zwei Bewohnerinnen des Altersheims, Camilla Haas und Fanny Bender. 1940 schließlich wurden mindestens 23 der in Neustadt-Stadt verbliebenen Jüdinnen und Juden im Rahmen der „Bürckel-Wagner-Aktion“, die die gesamte Saarpfalz und Baden betraf, in das Internierungslager nach Gurs deportiert. Für rund die Hälfte von ihnen stellte das südfranzösische Gurs eine Zwischenstation vor Deportationen in weitere Vernichtungslager dar.
In den Schriftstücken der Archivakten alleine werden die Hintergründe und Zusammenhänge, die die Entwicklung von der Ausgrenzung bis hin zur Ermordung möglich gemacht haben, nicht deutlich. Wenn jüdische Schüler*innen etwa die Schule verlassen mussten, trug man in ihre Akten ein „verlassen“ ein. Das war vor allem in den Jahren 1936 und 1937 der Fall. Den Schicksalen, die hinter solchen Eintragungen stecken, kann man sich nur über die Betrachtung eines breiten Quellenpanoramas nähern.
Um zu klären, wie eine solche Zuspitzung der Entwicklung in wenigen Jahren möglich war und warum die NS-Ideologie trotzdem so viele Anhänger*innen fand, beschäftigt sich dieses Unterkapitel zunächst mit der Funktionsweise antisemitischer Propaganda, indem Feindbildkonstruktionen untersucht werden. An ausgewählten Archivquellen soll dir im Anschluss verdeutlicht werden, wie der Ausschluss jüdischer Neustadter*innen aus der Volksgemeinschaft umgesetzt wurde.
Info-Box: Antisemitismus
Hier findest du nähere Informationen zum Begriff „Antisemitismus".
M1: Der Historiker Michael Kißener erklärt in einer Veröffentlichung von 2020 die Funktionsweise antisemitischer Propaganda
M2: Auszug aus einem in der NSZ Rheinfront erschienenen Zeitungsartikel vom 27. Mai 1933
M3: Auszug aus einem im Dürkheimer Tagblatt erschienenen Zeitungsartikel vom 2. Juni 1933
Aufgaben
Info-Box: Jüdisches Leben in Neustadt vor 1933
Hier findest du nähere Informationen zum jüdischen Leben in Neustadt vor 1933.
M5: Die Historikerin Laura Leydecker erklärt in einer Veröffentlichung von 2020 die nationalsozialistische Exklusionsrhetorik
M6: Der Historiker Hannes Ziegler beschreibt in einer Veröffentlichung von 2005 antisemitische Übergriffe im Jahr 1933
M7: Ausschnitt einer 2011 angefertigten Forschungsarbeit der ehemaligen Schülerin des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums in Neustadt, Cordelia Kuhn
M13: Die „Arisierung" jüdischer Betriebe
M14: Auswahl an Rückmeldungen jüdischer Neustadter*innen zur Annahme zusätzlicher Vornamen aus dem Jahr 1938
M16: Eine Neustadter Zeitzeugin erinnert sich in einer Veröffentlichung von 2005 an die Erfahrungen ihrer Mutter und Großmutter
Aufgaben
Vertiefungsangebot: Arbeit mit historischem Archivmaterial