3.4 Menschen und Lebenswege in der Verfolgung

Im Februar 1933 lebten 266 jüdische Einwohner*innen in Neustadt. Wie du auf dem Stadtplan erkennen kannst, wohnten sie über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Bis zu den Ereignissen der Reichspogromnacht sank die jüdische Bevölkerung Neustadts auf rund 170 Personen, im Juli 1940 lebten nur noch knapp über 30 Jüdinnen und Juden im Stadtgebiet. Wie erlebten die Menschen die Diskriminierung und Verfolgung? Welche Handlungsspielräume boten sich ihnen im Alltag? Wie kann man die Erinnerung an ihr Leben und ihr Wirken in der Gesellschaft wachhalten?

Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Neustadts von 1933 bis 1940

In diesem Unterkapitel stehen Lebenswege jüdischer Menschen aus und in Neustadt im Mittelpunkt. Hierzu befasst du dich zunächst mit einer Quelle, die dir eine gute Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Reaktionen diskriminierter und verfolgter Menschen vor Ort und deren Versuchen, „Wege des Lebens in der Verfolgung zu finden1  bietet. Es handelt sich um Artikel aus dem Jüdischen Gemeindeblatt für das Gebiet der Rheinpfalz. Die monatlich erscheinende Zeitschrift wurde in der Regionalausgabe erstmalig am 1. September 1937 veröffentlicht und musste nach der Ausgabe vom 1. November 1938 eingestellt werden.

Insbesondere viele jüdische Menschen in und um Neustadt zählten zur Leserschaft des Jüdischen Gemeindeblatts für das Gebiet der Rheinpfalz. Die Zeitschrift wurde gezielt auch dafür genutzt, über antijüdische Maßnahmen, Selbsthilfeaktionen und Möglichkeiten zur Flucht in das Ausland zu informieren. In der Zeitschrift selbst wurde hierzu nicht die Bezeichnung „Flucht“, sondern die der „Auswanderung“ gewählt. Die Texte vermieden die Kritik am Regime. Politische Diskriminierungsmaßnahmen konnten nur im Wortlaut des Gesetzes abgedruckt und eventuell mit Erklärungen zu notwendigem Handlungsbedarf für die Leser*innen verbunden werden. Eine Stellungnahme oder auch nur eine Auseinandersetzung mit den praktischen Auswirkungen der Gesetze und Verordnungen war nicht möglich.

In der zweiten Sektion folgst du anhand biografischer Einblicke dem Leben und den bis heute in Neustadt vorhandenen Spuren der Familie Strauß, des Ehepaars Ludwig und Margarethe Altschüler sowie Henriette Löbs.

1. „Wege des Lebens in der Verfolgung“?

M2: Auszug aus dem Titelblatt der Erstausgabe des Jüdischen Gemeindeblatts für das Gebiet der Rheinpfalz vom 1. September 1937

M4: Organisationen und Maßnahmen zur jüdischen Selbsthilfe in Ausschnitten aus dem Jüdischen Gemeindeblatt der Jahre 1937 bis 1938

Aufgaben

  1. „Eine gemeinsame Gruppe mit einer Ideologie oder einem Glauben bildeten sie immer nur für die Anderen, vor allem für die Antisemiten.“ Erkläre diesen Satz des Historikers Brenner ausgehend von M1 für mehrere Gruppen an Entrechteten und Verfolgten in der Zeit des Nationalsozialismus.

    Tipp: Beziehe hierzu auch deine Kenntnisse aus den Unterkapiteln 3.1, 3.2 und 3.3 ein.

  2. Erarbeite ausgehend von M2, M3 und dem einleitenden Darstellungstext nähere Informationen zum Jüdischen Gemeindeblatt für das Gebiet der Rheinpfalz und den mit dessen Veröffentlichung verbundenen Zielsetzungen.

    Tipp: Für die weitere Erarbeitung könnt ihr die Quellen in der Gruppe aufteilen und die Ergebnisse zusammentragen.

  3. Arbeite aus den vorliegenden Quellen in M4 heraus, welche durch Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung ausgelösten Alltagsprobleme der jüdischen Bevölkerung in den Beiträgen und Rubriken des Jüdischen Gemeindeblatts deutlich werden.

    Tipp: Sämtliche Ausgaben des Jüdischen Gemeindeblatts sind in der Sammlung Judaica der Universitätsbibliothek Frankfurt einsehbar.

  4. Erläutere, wie sich jüdische Menschen in der Zeit zunehmender Ausgrenzung und Verfolgung 1937 und 1938 organisierten und sich für ihre Mitmenschen engagierten.

    Tipp: Du kannst die Beispiele sinnvoll ergänzen und in größere Kontexte einordnen, wenn du die empfohlene Informationsseite zur Jüdischen Selbsthilfe des Lebendigen Museums Online (LeMO) des Deutschen Historischen Museums zur „Jüdischen Selbsthilfe“ heranziehst.


  5. Diskutiert gemeinsam, inwiefern das Jüdische Gemeindeblatt für das Gebiet der Rheinpfalz eine geeignete Quelle darstellt, Erkenntnisse zu „Wegen des Lebens in der Verfolgung“ jüdischer Menschen in und um Neustadt zu gewinnen.

    Tipp: Die biografischen Einblicke zur Familie Strauß und zu Sara Lehmann in der folgenden Sektion und im Unterkapitel 3.5 bieten dir weitere Einblicke in das Engagement jüdischer Persönlichkeiten des Pfälzer Raums, insbesondere in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre.

2. Jüdische Lebenswege in Neustadt

Bio-Clip 1: Ludwig und Margarethe Altschüler

Der Video-Clip wurde von Hannah Bitzer (Studentin der JGU Mainz) produziert.

Bio-Clip 2: Dr. Karl Strauß

Der Video-Clip wurde von Hannah Bitzer (Studentin der JGU Mainz) produziert.

Bio-Clip 3: Henriette Löb

Der Video-Clip wurde von Hannah Bitzer (Studentin der JGU Mainz) produziert.

Hier findest du Recherchematerial zur Biografie Henriette Löbs. Die Materialien sind aus Beständen des Stadtarchives Neustadt a.d.W., der im Landesarchiv Speyer verwahrten Personalakte Löbs sowie ihrer Kartei in der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt zusammengestellt.

DOWNLOAD

Aufgaben

  1. Betrachte die biografischen Video-Clips zu den in den 1930er Jahren in Neustadt wohnhaften Familien Altschüler und Strauß. Beschreibe anschließend, inwiefern die Familien ihr Leben ab 1933 zwischen Selbstbehauptung und Ausweglosigkeit gestalteten.
  2. Dem Video-Clip zur Biografie Henriette Löbs fehlt die Tonspur. Stelle eine eigene Vertonung des Videos zusammen, diese kannst du live vortragen oder auch aufnehmen.

    Tipp: Zur Recherche kannst du die im Download zur Verfügung gestellten Materialien nutzen. Auch ein Blick in das Unterkapitel 1.4 zum (frühen) Konzentrationslager könnte dir helfen. Henriette Löb war dort (als einzige Frau) für eine Nacht interniert.

  3. Beurteile abschließend, ob es sich bei den Video-Clips um eine angemessene Form der Erinnerung an die Lebenswege der Neustadter*innen handelt.

    Beziehe in deine Beurteilung die Wirkung folgender Aspekte ein:
  • Die Kameraführung
  • Die Musik
  • Den Audio-Kommentar
  • Die Verwendung von Originalquellen
  • Die inhaltliche Zusammenstellung

    Tipp: Überlege dir auch alternative Umsetzungsmöglichkeiten.
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