Vorwort für Lehrer*innen

 

Liebe Lehrer*innen,

dieses multimediale Schulgeschichtsbuch zu „Neustadt und der Nationalsozialismus“ soll Ihnen viele Ideen an die Hand geben, um gute Lerngelegenheiten für Ihre Schüler*innen zu gestalten. Gleichzeitig ist es so konzipiert, dass Schüler*innen selbstständig damit arbeiten und auch Projekte in offenen Unterrichtsformen verwirklichen können.

Wie schon am regionalgeschichtlichen Themenbezug deutlich wird, handelt es sich nicht um ein Schulbuch, welches das eingeführte Lehrwerk ersetzen kann oder soll. Unser Anliegen ist es, historisches Lernen mit vielfältigen Medien zu ermöglichen. Dennoch handelt es sich bei diesem Buch nicht nur um eine didaktische Handreichung mit großem Facettenreichtum, sondern um eine in sich vernetzte und didaktisch aufgebaute Publikation, die auf die übergeordnete Fragestellung „Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt?“ ausgerichtet ist. Die Kapitel und die Sektionen greifen ineinander, um den Prozess des historischen Lernens zu fördern.

Die übergreifende Fragestellung „Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt?“ als didaktisches Potential

„Gemeinschaft“ und „Volk“ sind zwei Begriffe, die sich für alle Altersgruppen, aber gerade auch für Jugendliche anbieten, um aus der Gegenwartserfahrung heraus Fragen an die Vergangenheit zu stellen. Gemeinschaft betrifft die Kernfragen der menschlichen Gesellschaft und der anthropologischen Grundvoraussetzungen. „Gemeinschaft“ stellt die Frage nach Zugehörigkeit, nach Ausgrenzung, Abgrenzung und nach innerer Differenzierung und Hierarchisierung. Der Begriff „Volk“ ist in der Gegenwart wieder in aller Munde, vor allem rechte Gruppierungen stilisieren sich selbst zu „wahren“ Vertretern des Volkes. Sie greifen damit auf eine nachdenklich machende Konzeption von volonté générale zu, die von einem durch Einheitlichkeit bestimmten Volkskörper ausgeht und damit Exklusion zur Grundlage der Selbstdefinition macht.

Jugendliche sind diesen Deutungen häufig ausgesetzt. Neben dem allfälligen Aufgreifen aktueller Debatten ist es vor allem der Blick in die Geschichte, der eine fundierte Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen unserer Gegenwart ermöglicht. Ein Ansatzpunkt könnten hier die wirkmächtigen Vorurteile der Schüler*innen sein, die die vermeintlich „positive Rezeption“ des Nationalsozialismus im Hinblick auf ein Gemeinschaftsempfinden thematisieren (Dirk Strohmenger 2017). Insofern ist die vertiefte Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Region im Nationalsozialismus ein zentraler Beitrag zur historischen Orientierung. Voraussetzung ist allerdings eine Annäherung, die die Gesellschaft und ihre Funktionsweisen in den Blick nimmt und nicht bei den „Parteigrößen“ stehenbleibt. Deshalb werden beispielsweise Fragen nach den (Herstellungs-)Praktiken, den Aushandlungen, nach Mitmachen, Abgrenzen und Ausgrenzen sowie jene nach dem vermeintlichen „Sehnsuchtsort“ der Volksgemeinschaft gestellt.

Aufbau und Strukturprinzipien

Im folgenden Abschnitt sollen der Aufbau und die didaktischen Entscheidungen kurz erläutert werden, um die Orientierung zu erleichtern und die Konzeption zu erklären.

Multimedialität:

Die Medien des historischen Lernens sind sorgfältig ausgewählt. In Bezug auf die Primärzeugnisse spiegelt sich die hervorragende Quellenlage zu diesem regionalen Thema im Lehrwerk wider. An jenen Stellen, an denen wenig Quellen(gattungen) gefunden wurden, wird dies den Schüler*innen transparent gemacht. Einige Lernaufgaben übertragen die Auswahl der geeigneten Quellen an die Schüler*innen, so dass auch diese Phase in der Konstruktion einer historischen Erzählung deutlich wird. Im Regelfall bleibt die äußere Form der Quellen erhalten. Dort, wo eine andere Entscheidung getroffen wurde (zum Beispiel Audioversionen schriftlicher Zeitzeug*innenberichte), werden die Umformungen für eine kritische Reflexion aufgeschlüsselt.

Auch im Hinblick auf die Darstellungen wird eine große Vielfalt integriert und dennoch sorgfältig darauf geachtet, dass die Dekonstruktion und nicht eine Überwältigung im Vordergrund stehen soll. So ist beispielsweise die Inszenierung „Lieber tot, als einen Schritt davon abweichen“ einer studentischen Theatergruppe der Johannes Gutenberg-​Universität Mainz unter Leitung von Katharina Kaiser als Medium angefügt. Auch zeigt Clara-Louise Noffke in einem Audiobeitrag auf, dass auch Historiker*innen bei der Archivarbeit betroffen sind angesichts der Verbrechen, die in diesen regionalen Konkretisierungen noch viel schrecklicher wirken. Die Emotionen und auch die Frage nach einer Überwältigung der Schüler*innen werden in einem weiteren Schritt thematisiert und die Entscheidung für die Aufnahme in das Schulbuch zur Diskussion gestellt.

Die Lernaufgaben und Medienbausteine sind so konzipiert, dass sie die Gattungskompetenz fördern. Die Bausteine in dem Kapitel „Medien im Fokus“ unterstützen die Schüler*innen beim historischen Arbeiten.

Die Problemorientierung als übergreifender Rahmen:

Die drei großen inhaltlichen Kapitel werden durch das Theoriekapitel und den Ausblick eingerahmt und für die Konstruktion von Lernprozessen aufgeschlüsselt. Das Buch beginnt bei den Prä-Konzepten der Schüler*innen zu „Volk“ und „Gemeinschaft“ und fragt die Lernenden nach der Bedeutung, die sie dem Thema des Buches mit dem regionalen Bezug zuordnen. Am Ende der Arbeit mit dem multimedialen Schulgeschichtsbuch wird im Anschluss an ein Kapitel zur Erinnerungskultur auf diesen Anfang zurückgegriffen. Die Schüler*innen sollen sich das eigene Lernen mit dem Buch vor Augen führen und eine begründete Haltung zum Umgang mit dem Nationalsozialismus in Neustadt argumentativ darstellen.

Die Kapitel:

Drei große Blickachsen auf die Volksgemeinschaft bündeln die vielfältigen Aspekte und Schwerpunkte, die im Buch behandelt werden:

a) Die Autor*innen legen ihr Erkenntnisinteresse, ihre Herangehensweise an und die Herausforderungen bei der Arbeit an den Kapiteln jeweils zu Beginn in einem Podcast offen. Damit soll der Konstruktcharakter von Lehrwerken für die Schüler*innen deutlich werden, sodass sie auch Schulbücher als geschichtskulturelle Objektivationen erkennen können.

b) Die Großkapitel bestehen aus mehreren Unterkapiteln, die Teilaspekte aufgreifen und näher beleuchten. Die leitenden Fragestellungen sind in den Überschriften ausgewiesen. Jedes Kapitel beginnt mit einem einführenden Text, der zur Thematik hinleitet, die Vorgehensweise und die wichtigsten Lernziele für die Schüler*innen transparent macht. Mit diesem Vorgehen soll den Schüler*innen ein roter Faden an die Hand gegeben werden. Ein Zeitstrahl bündelt die Ereignisse und dient zur Orientierung in der Zeit.

c) Die mit Operatoren formulierten Arbeitsaufträge bilden in den Teilkapiteln (d.h. nicht nur in den Großkapiteln) den Lernprozess im Regelkreis des historischen Denkens ab. Dies soll die Auswahl von Schwerpunkten für die jeweilige Lerngruppe erleichtern. So wird auch an verschiedenen Stellen im Buch die übergreifende Frage anhand der Teilaspekte aufgegriffen und zur Diskussion gestellt.

d) Das Schulgeschichtsbuch enthält auch Projektvorschläge, die auf entdeckendes Lernen und/oder Handlungsorientierung abzielen. Beispiele sind die Vertonung eines Bio-Clips, die Erstellung eines Plakats für die Ausstellung, das Schreiben und Aufführen eines szenischen Spiels sowie ein Podcast zum Thema „Der Nationalsozialismus im kollektiven Gedächtnis Neustadts“. Für die Projektideen können die Schüler*innen auf ein reiches Angebot an Quellen sowie Darstellungen zurückgreifen und auf Basis der vorausgehenden Teilkapitel eigenständig arbeiten. Über die gut verlinkten Bausteine „Medien im Fokus“ und über die Arbeitsaufträge zur Quellenkritik und zur Dekonstruktion von Darstellungen können sie sich auch wichtige Schlüssel für das Arbeiten an historischen Themen schmieden und so das eigenständige Lernen ausbauen.

Geschichts- und Erinnerungskultur:

Aspekte der Geschichts- und Erinnerungskultur spielen an verschiedenen Stellen im Buch eine zentrale Rolle. Im Ausblick „Das Erbe der Volksgemeinschaft“ wird der Umgang mit der Geschichte über die Jahrzehnte nach 1945 betrachtet. Die Schüler*innen sollen verstehen können, wie sehr die Erinnerung an die jeweilige Gegenwart sowie an die Gesellschaft und ihre Debatten gebunden ist. Erst in diesem Kontext können sie verstehen, dass sich jede Zeit neu mit der Geschichte auseinandersetzen muss, um historische Orientierung zu gewinnen.

Wir – das heißt die Autor*innen dieses multimedialen Schulgeschichtsbuches – hoffen, ein Lehrwerk vorgelegt zu haben, das Demokratiebildung fördern kann und für Sie eine Unterstützung bei Ihrer Aufgabe im Geschichtsunterricht ist.

chevron_left chevron_right