1.2 Der Aufstieg der NSDAP – Die „Volksgemeinschaft" als Sehnsuchtsort?

In direkter Gegnerschaft zur NSDAP fanden sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Die demokratiefeindliche KPD trat für das politische Ziel der Errichtung einer sozialistischen Räterepublik ein, die SPD stützte das parlamentarische System der Weimarer Verfassung. Auch demokratiebejahende Parteien wie die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) sowie das katholische Zentrum, bzw. die Bayerische Volkspartei (BVP) fanden sich in der Neustadter Parteienlandschaft wieder. Viele Parteien der Weimarer Republik setzten bewaffnete Wehrverbände ein, die als Saalschutz die Veranstaltungen der eigenen Partei schützen oder auch die Veranstaltungen der gegnerischen Parteien stören sollten. Dazu zählte der Rote Frontkämpferbund für die KPD und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold für die SPD. Auf Parteiveranstaltungen der Bayerischen Volkspartei oder des Zentrums wurde die Pfalzwacht als Saalschutz eingesetzt. Der „Kampfverband" der NSDAP während der Weimarer Republik war die Sturmabteilung (SA), später die Schutzstaffel (SS).

Text: Katharina Kaiser

Auch wenn die Stadtverwaltung [Neustadts] die Bemühungen um ein öffentlichkeitswirksames, symbolisches Eintreten für die neue Verfassung [der Weimarer Republik] kaum unterstützte, konnte von einer „Republik ohne Republikaner“ in Neustadt Mitte der 1920er Jahre nur bedingt die Rede sein. […] Mit der spezifischen Sozialstruktur Neustadts hängen auch die Besonderheiten in der politischen Landschaft der Stadt zusammen: Neustadt war zu Beginn der [Weimarer] Republik eine Hochburg der liberalen Parteien, insbesondere der DDP. […] Von der späteren Stärke der Nationalsozialisten bei Wahlen in Neustadt war in der ersten Hälfte der 1920er noch nichts zu spüren.

aus: Sarina Hoff, Neustadt und seine politische Kultur 1918-1932, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen und Ergänzungen von Katharina Kaiser).

In wirtschaftlicher Hinsicht war die Lage um 1930 eine andere als fünf Jahre zuvor – und zwar eine deutlich düsterere: Auch wenn Neustadt nicht zu den ärmsten Gebieten der Region gehörte, gestaltete sich die wirtschaftliche Lage in der Pfalz bereits vor 1929 deutlich schlechter als im Reich insgesamt und die Region wurde besonders stark von der Weltwirtschaftskrise getroffen. […] Zu Beginn des Jahres 1930 bilanzierte der Bürgermeister, man könne die finanzielle Lage der Stadt „offen als katastrophal bezeichnen“. […] 1932 war die Bürgersteuer laut der Lokalpresse die zweithöchste in der Pfalz, was naheliegender Weise zu Unzufriedenheit unter den Neustadtern führte. Noch entscheidender als die Auswirkungen der Fürsorgekosten war aber die weit verbreitete Armut, die sich hinter diesen nackten Zahlen verbarg. Wenn [der Neustadter Bürgermeister] Forthuber bereits Ende 1929 betonte, es „werde vielfach vergessen, daß nicht nur in den Kreisen der Erwerbslosen Not herrsche, sondern in den weitesten Kreisen unseres Volkes und zwar in einem Prozentsatze, der geradezu erschreckend sei“, so sprach er eine Verarmung breiter Schichten, etwa des Mittelstands und der Winzer an, die sich im weiteren Verlauf der Krise noch verschlimmern sollte.

aus: Sarina Hoff, Neustadt und seine politische Kultur 1918-1932, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen und Ergänzungen von Katharina Kaiser).

Vorschläge der Stadt Neustadt zur Benennung des Weinjahrgangs 1931

Seit 1929 erhalten die Pfälzer Weinjahrgänge Namen, die von einer Jury auf Basis postalischer Einsendungen festgelegt werden. Die vorgeschlagenen Einreichungen des Jahres 1931 geben Auskunft über die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Situation aus Sicht der Winzer*innen:

„Sorgenbrecher“

„Not-Tropfen“

„Krisensaft“

„Verdrießling“

„Abgebaut“

Benannt wurde der Weinjahrgang 1931 letztlich als „Krisling“.

aus: Von "Klimawandler" bis "Vinosaurier". Taufnahmen für Pfälzer Weinjahrgänge, https://www.pfalz.de/de/pfalz-geniessen/pfaelzer-wein/rund-um-den-wein/taufnamen (Idee von Sarina Hoff).

Die Ortsgruppen der NSDAP stellten die kleinste Gliederunsgebene der Partei vor Ort dar. In Gimmeldingen wurde am 19. Mai 1925 die NSDAP-Ortsgruppe Neustadt gegründet, der zunächst 38 Mitglieder angehörten.

Text: Katharina Kaiser

Im Mai 1925, als der Druck und die Schikanen der französischen Soldateska¹, die Feilschereien² der Parteien und die Not in Deutschland immer größer wurden, taten sich in Neustadt a. d. Hdt. mutige Männer zusammen, um den Kampf gegen das System der Unterdrückung und Schande aufzunehmen, indem sie die Ortsgruppe der NSDAP bildeten. Damit war der Kampf gegen das System von Weimar eröffnet und wurde in mutigen Angriffen und Gefechten vorwärts getragen. Trotz den vielen Widerstände, dem Terror, dem Verrat und den Verboten hat sich die Ortsgruppe unter zielbewußter Führung und treuer Gefolgschaft der Mitglieder, die ein heiliger Glaube an den Führer und an Deutschland beseelte, aufwärts entwickelt. Der Kampf, der in der Ortsgruppe geführt wurde, hat durch die Übernahme der Macht durch den Führer am 30. Januar 1933 seine Krönung erfahren. Der alte Kampfgeist wird und muß weiter bestehen, um das Geschaffene zu erhalten und weiter auszubauen. So dienen wir der Volksgemeinschaft, dem Führer, dem ewigen Deutschland.

aus: Stadtarchiv Neustadt a.d.W., Festschrift der NSDAP-Ortsgruppe Neustadt, 1935.

Versetze dich in die Perspektive eines*r Journalist*in, der*die an der Kundgebung der NSDAP im Saalbau am 20. April 1931 (siehe Fotografie) teilnimmt. Verfasse einen Artikel, in dem du über die Kundgebung und die Reaktionen der anwesenden Neustadter*innen berichtest.

Wähle aus folgenden Perspektiven:

• Du schreibst für eine deutschsprachige Zeitung im Ausland
• Du schreibst für eine regionale Zeitschrift, die dem liberalen Spektrum zuzuordnen ist

Am 4. Juni 1932 wurden der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. Dies führte reichsweit zu intensiven Wahlkampftätigkeiten aller Parteien, aber auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die NSDAP nutzte das Jahr 1932 zur Abhaltung deutschlandweiter Kundgebungen. Im Rahmen eines „Deutschlandfluges" besuchten führende Politiker der NSDAP, unter ihnen auch Adolf Hitler, Wahlkampfveranstaltungen in verschiedensten Städten im Deutschen Reich, so auch in Neustadt. Zuvor hielt die Pfälzische NSDAP im Juli 1932 noch einen „Gautag" in Neustadt ab, aus dem nach einem bewaffneten Konflikt zwischen Mitgliedern der SA und der Eisernen Front Schwerverletzte hervorgingen.

Text: Katharina Kaiser

Nähere Informationen über den „Gautag" der Pfälzischen NSDAP im Juli 1932 in Neustadt findest du im entsprechenden Lexikonartikel.

[Die SA war eine Kampforganisation der NSDAP]. Seit dem Erfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl vom September 1930 verzeichnete die SA zusammen mit der Partei selbst ein stürmisches Wachstum […]. Exakte Zahlen liegen für Neustadt an der Weinstraße nicht vor, doch deuten die […] Quellen darauf hin, dass sich die SA auch hier entsprechend dem allgemeinen Trend entwickelte: Umfasste die SA-Untergruppe Pfalz-Saar im Sommer 1927 lediglich 1 000 SA-Männer, zählte sie Anfang Juli 1932 schon 10 000 Mann. Im Frühjahr 1934, nach der Bildung der SA-Brigade 51 (Pfalz-Saar), gliederte sich diese in neun Standarten, von denen eine, die Standarte 18, in Neustadt stationiert worden war.

Das Sozialprofil der SA [-Mitglieder in Neustadt war] evangelisch, der unteren Mittelschicht zugehörig und knapp 26 Jahre alt […], oder anders gewendet: Der durchschnittliche SA-Mann spiegelte das konfessionelle wie kleinbürgerlich-mittelständische Milieu Neustadts wider.

aus: Martin Göllnitz/Martin Hanisch, Entgrenzte Männerkameraderie, gewalttätige Volksgemeinschaft – Perspektiven auf die Neustadter SA, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen und Ergänzungen von Katharina Kaiser).

Nähere Informationen über die Bedeutung der Sturmabteilung (SA) für Neustadt findest du im entsprechenden Lexikonartikel.

Als Zusammenschluss antifaschistischer Organisationen wurde die „Eiserne Front" im Dezember 1931 gegründet. Unter diesem Dach versammelten sich die SPD, die Freien Gewerkschaften, die Arbeiterturn- und Sportverbände und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, um eine gemeinsame Abwehrarbeit gegen den erstarkenden Nationalsozialismus zu führen. Das vordergründige Motiv für die Gründung der Eisernen Front war die Bildung der Harzburger Front rechtsradikaler Parteien und Verbände, die sich im Oktober 1931 gebildet hatte. Eine zentrale Rolle spielte die Eiserne Front in der Gestaltung und Koordination des sozialdemokratischen Wahlkampfes 1932.

Text: Sebastian Elsbach, Die Eiserne Front, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin 2. April 2019 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Weiterführende Informationen zur „Eisernen Front" findest du auch auf der Website des Lebendigen Museums Online (LeMO) des Deutschen Historischen Museums.

Feiger Überfall aus dem Hinterhalt. Bei dem Marsch der SA- und der SS-Formationen durch Neustadt kam es bei der Wirtschaft Zur Pfalz, dem Verkehrslokal der „Eisernen Front“, zu einem schweren Zwischenfall. Der Vorfall ist in seinen Einzelheiten noch nicht endgültig geklärt. Den Zeugenaussagen nach muß es sich etwa folgendermaßen abgespielt haben: Als die SS Abteilung […] in die Gegend der Wirtschaft Zur Pfalz kam machten politische Gegner, die vor der Wirtschaft standen, provozierende Zwischenrufe, die aber nicht beachtet wurden. Darauf warfen sie Abzeichen zwischen die Parteireihen. Ein SA-Mann stieß ein vor ihm niedergefallenes Abzeichen mit dem Fuß weg, worauf sich einer der Werfer zwischen die Reihen der SS drängte, um das Abzeichen wieder aufzuheben. Die SS-Leute beförderten den Mann aus ihren Reihen […] Es kam zu einer kurzen Reiberei, wobei die SS einen Mann mit dem Schulterriemen verprügelten. In diesem Augenblick erhob ein Mann […] einen kleinkalibrigen Revolver und drückte ab. […] Der Mann trifft einen SS-Mann in den Kopf. […] Ein weiterer Mann erhielt einen ungefährlichen Streifschuß in den Nacken. Alle verletzten haben ihre Schüsse von hinten her bekommen, ein Beweis für die Heimtücke und die brutale Mordgesinnung der Schützen. […] Begreiflicherweise ist die Erregung über den Vorfall bei den Nationalsozialisten sehr groß. Aber auch die Neustadter Bevölkerung ist tief empört über diesen Vorfall, und erwartet, daß alles getan wird, den Täter ausfindig zu machen. Bezeichnend ist wieder, daß der Überfall und die Provokationen nicht irgendwo, sondern vor dem Verkehrslokal der Eisernen Front erfolgten.

aus: Schüsse auf die marschierende SS, in: Pfälzischer Kurier, 11. Juli 1932 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Transkription des Textes zur Skizze: Zum Gautag der NSDAP, der heute und morgen abgehalten wird, ist folgendes Programm festgelegt: Samstag den 9. Juli 8-8.34 Uhr am Bahnhof Standkonzert der SS-Kapelle; 9 Uhr Deutscher Abend im Saalbau. Sonntag den 10. Juli 10 Uhr vormittags Kongreß der Amtswalter, SA, SS- und HJ-Führer; 11-12 Uhr Militärkonzert der SA-Kapelle auf dem Bahnhof und Neptunplatz 12.30 Uhr Antreten zum Propagandamarsch im Stadion; 1.30 Uhr Abmarsch. Nach Schluß des Propagandamarsches Massenkundgebung im Stadion. Es sprechen: Dr. Ley […], Gruppenführer v. Jagow, Schwitzgebel, Bürckel.

Auch wenn ein solch gezielter Einsatz „offenen Terrors“ im Neustadt jener Jahre eher die Ausnahme blieb, war politische Gewalt in den verschiedensten Formen keine Seltenheit: Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, aber auch zwischen Letzteren und dem Reichsbanner waren zwar nicht so häufig wie in größeren Städten, kamen aber anlässlich von Versammlungen, Wahlen oder anderen politischen Veranstaltungen immer wieder vor. Während einige dieser Auseinandersetzungen noch eher harmlos anmuten, wenn beispielsweise 1929 Reichsbanner-Mitglieder einigen Nationalsozialisten, die sie beim Überkleben ihrer Plakate hindern wollten, einen Leimtopf überleerten, intensivierte sich die Gewalt im Lauf der nächsten Jahre bis hin zum Gebrauch von Schusswaffen. Zu einem besonders aufsehenerregenden Vorfall kam es im Juli 1932: Als anlässlich des Gautreffens der pfälzischen NSDAP mit mehreren Tausend Teilnehmern SA und SS durch Neustadt marschierten, wurden unter nicht genau zu klärenden Umständen aus einer Gaststätte, die dem Reichsbanner als Treffpunkt diente, Schüsse auf den Zug abgegeben, die einen Teilnehmer schwer, zwei weitere leicht verletzten. Der Täter konnte nie eindeutig ermittelt werden, zwei angeklagte Neustadter Arbeiter wurden schließlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen. […] Bereits am Tag nach dem Attentat betonte Gauleiter Josef Bürckel bei einer Massenkundgebung im Stadion die Disziplin seiner angeblich bewusst auf Rache verzichtenden Partei und warf der Regierung vor, „in Deutschland herrsche nicht [wie von ihr behauptet] Zucht und Ordnung, sondern organisierter Bürgerkrieg“.

aus: Sarina Hoff, Neustadt und seine politische Kultur 1918-1932, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen und Ergänzungen von Katharina Kaiser).

Für die […] gewaltbereite[n] SA bildeten die Saalschlacht und der Straßenkampf mit der verfeindeten Partei bzw. deren Kampfbund – selbst wenn die eigene Seite unterlegen war – erst den politischen Erfahrungs- und Begegnungsraum, in dem ihre völkisch-nationale Mission, die „Vergemeinschaftung durch Gewalt“, konkrete Gestalt annahm. Schon deswegen spielte Gewalt eine Schlüsselrolle bei der nationalsozialistischen Machteroberung; sie unterdrückte, versetzte in Angst, beeindruckte, wo Hitlers Charme nicht wirkte, und inszenierte die gelebte Volksgemeinschaft.

aus: MARTIN GÖLLNITZ/MARTIN HANISCH, Entgrenzte Männerkameraderie, gewalttätige Volksgemeinschaft – Perspektiven auf die Neustadter SA, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Die in M8 zitierte Emilie Karl war nicht nur Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Neustadt, sondern seit 1925 auch Mitglied der „Naturfreunde Neustadt". Bei dem 1895 gegründeten Freizeit- und Wanderverein der Naturfreunde handelt es sich um einen europaweit (noch heute existierenden) Verband, der sich für gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen im Einklang mit Umwelt und Natur einsetzt. Um die Jahrhundertwende aus dem Umfeld der Arbeiterbewegung gegründet hatte der Verein zunächst das Ziel, Freizeit- und Ausgleichsmöglichkeiten für die Arbeiterklasse zu schaffen.

Im Wahlkampfjahr 1932 kam es zu einem Konflikt innerhalb der Ortsgruppe in Neustadt, dessen Darstellung in der reichsweiten, sozialdemokratischen Presse ideologische Kontroversen zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie aufzeigt und dir weitere Einblicke in die Pressedarstellung der politischen Lager Neustadts im Jahr 1932 bietet.

• Stelle ausgehend von den Ausschnitten der folgenden Zeitungsartikel und M8 Vermutungen auf, inwiefern sich die Darstellung des Konflikts zwischen KPD und SPD in der reichsweiten, sozialdemokratischen Presse auf den Wahlkampf des Jahres 1932 in Neustadt auswirkte.

Ein Reinfall der Kommunisten

In Neustadt an der Haardt war schon seit Jahren die Ortsgruppe des Touristenvereins „Die Naturfreunde" das Eroberungsziel der kommunistischen „Kampfgemeinschaft". In dieser Ortsgruppe leisteten sich die kommunistischen Mitglieder fortlaufend Beschimpfungen und Verleumdungen der sozialdemokratischen Mitglieder, so daß sich diese veranlaßt sahen, den Versammlungen fernzubleiben. [...] Die Kommunisten fühlten sich stark, [...] Beschwerden gelangten an die Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege und an die Reichsleitung des Touristenvereins, die nun den Ausschluß der Hauptstörenfriede aus der Ortsgruppe verlangte und da diesem Ersuchen nicht Rechnung getragen wurde, fünf kommunistische Mitglieder ausschloß. [...] Die Ortsgruppe Neustadt an der Haardt und ihr schönes Haus ist der Gesamtgruppe erhalten geblieben.[...] Es ist der Aufmerksamkeit unserer Genossen zu danken, daß sie im rechten Moment noch zu handeln wußten, um zu verhüten, daß die einzige Ortsgruppe, die [...] „Die Naturfreunde" in der Pfalz besitzt, zerschlagen wurde.

aus: Vorwärts, 29. Dezember 1931 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Ein kommunistischer Spuk in Neustadt a.d. Hdt. - und sein Ende.

„Wir haben im Gau Pfalz nur eine Ortsgruppe, das ist Neustadt, die ziemlich kommunistisch verseucht ist, aber es kann hier gesagt werden, daß im Großen und Ganzen die Bestrebungen unseres Vereins nicht gehemmt werden, sollten sie aber gehemmt werden, so werden wir im Gau Pfalz ganz energisch dagegen Sturm laufen." So sprach unser Vertreter, Genosse Laub, auf der Reichsversammlung zu Dresden im Jahre 1930. - Kaum ein Jahr später wurde von den kommunistischen Mitgliedern in der Ortsgruppe der Versuch unternommen, die Ortsgruppe und mit ihr das „Neustadter Naturfreundehaus" der kommunistischen Kampfgemeinschaft anzugliedern, dieser mißglückte. Wie kam dies? Schon seit Jahren versuchten die kommunistischen Mitglieder in der Ortsgruppe Neustadt die Ortsgruppenversammlungen zu Parteiversammlungen der K.P.D. zu machen. Durch die dauernden Beschimpfungen der S.P.D.-Mitglieder brachte man es fertig, daß diese den Versammlungen fernblieben. [...] Die außerordentliche Generalversammlung fand nun am 28. November [1931] statt. Auch hier wieder dasselbe Bild, wie in der vorhergehenden Veranstaltung, viel Geschrei und Anpöbelungen [...]. Ein kleiner Teil Verblendeter schied aus [...]. Interessant ist, daß von den Ausgeschiedenen schon ein Teil Mitglied der „Kampfgemeinschaft" war, also Doppelmitglied, bei der Kampfgemeinschaft der Politik wegen bei uns um die Organisation zu zerschlagen. Daß dies nicht gelungen ist, verdanken wir unseren [...] Satzungen, die verhindern, daß unsere Häuser in unrechte Hände kommen. Neustadt zeigt uns aber auch, daß wir auf der Hut sein müßen vor unseren falschen Freunden. Wer versucht, unsere Organisation parteipolitisch zu mißbrauchen, hat bei uns keinen Platz. [...] Wir wollen [...] die den Naturfreunden zugewiesenen Aufgaben an der Verwirklichung einer sozialistischen Kultur erfüllen.

aus: Berg Frei. Mitteilungsblatt des Touristenvereins: Die Naturfreunde: Gau Pfalz, 1932, Nr. 1 (Kürzungen und Ergänzung von Katharina Kaiser).

Über den Link findest du bei Interesse den vollständigen Link des Artikels.

In der Ortsgruppe der Naturfreunde waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg Sozialdemokraten und Kommunisten in gleicher Weise vertreten und aktiv. Als Obleute wechselten sich Sozialdemokraten mit Kommunisten ab. Das Naturfreundehaus war ihr gemeinsames Werk, das seitens der Stadt durch Ratsmitglieder von SPD und KPD unterstützt wurde. Ein Jahr nach dem in der reichsweiten Presse als Zerwürfnis dargestellten Konflikt berichtet der Stadt- und Dorfanzeiger etwa von einer Feier zum 20-jährigen Bestehen der Ortgruppe Neustadt im August 1932, auf der der sozialdemokratische 1. Obmann öffentlich betonte, dass es im Verein stets eine gute Stimmung gegeben habe. Die Ortsgruppe wolle die Ausgeschlossenen wieder aufnehmen sobald dies möglich sei. Nach 1945 wurden die Ausgeschlossenen - sofern sie noch lebten - wieder in den Verein aufgenommen. Durch Vereinsbeschluss wurde festgelegt, dass ihnen die komplette Zeit von Zeitpunkt des Ausschlusses bis zur Wiederaufnahme als Jahre der Mitgliedschaft angerechnet wurden.

Text: Hans-Jürgen Hemmerling

Wenn es darum ging, das Gefühl einer funktionierenden Volksgemeinschaft zu erzeugen, setzte die [NSDAP] alles ihr Mögliche ein. Grundlegend dafür waren Großveranstaltungen, die, wenn nötig, groß gemacht wurden, indem Parteigenossen auch von weit her anreisten, um den Eindruck einer Massenveranstaltung zu erzeugen. Wenn so viele Befürworter des Kurses von Adolf Hitler zusammenkamen, dann war es schon angesichts der schieren Masse an Menschen schwer, sich von dieser offensichtlich viele begeisternden Ideologie zu distanzieren und abseits zu stehen. […] Dies galt damals umso mehr, wenn solche Veranstaltungen straff organisiert waren und durch vorbildliche Ordnung und Disziplin in der Teilnehmerschaft, die SA und SS als Ordnungsdienst gewährleisteten, Geschlossenheit und willige Einfügung in ein größeres Ganzes demonstrierten. Für die Teilnehmer lohnte sich das schon deshalb, weil NS- Propagandaveranstaltungen zumeist „Eventcharakter“ hatten, vieles boten und alle Sinne bedienten. […] Da gab es Musik gleich mehrerer Kapellen, stramm einmarschierende Kolonnen […], die gewiss einen „schneidigen“ Eindruck machten und die Kraft eines „neuen“ Deutschland suggerierten. Trotz Wirtschaftskrise gab es überall Verpflegung zu kaufen, Brezeln, Eis, auch Bier wurde angeboten. Stände mit nationalsozialistischer Literatur lösten solche ab, an denen man Hakenkreuzfahnen, Anstecker, NS-Postkarten und Hitlerbilder kaufen konnte. Der Presse standen eigene Tische zur Verfügung. […] Fester Bestandteil der Inszenierung war am Ende auch das gemeinsam gesungene Horst-Wessel-Lied oder das Deutschlandlied sowie ein donnerndes „Heil Hitler!“ und eine gewisse Nachsorge der Partei beim Verlassen des Veranstaltungsortes. Der Verkehr wurde geregelt, der Veranstaltungsort diszipliniert verlassen und dafür Sorge getragen, dass sich niemand über das Betragen und den ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltung beschweren konnte.

aus: Michael Kißener, Die Verheißung der Volksgemeinschaft. Politische Ziele und propagandistische Mittel der NSDAP in Neustadt, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Wir haben uns das Ziel gesetzt, dem deutschen Volk im Inneren die Voraussetzung zu schaffen für das außenpolitische Leben, ein Ziel, das seine Grundlage in folgender Erkenntnis hat: die anderen reden dauernd vom Recht, wir glauben an kein Recht, hinter dem nicht die Macht steht und wir glauben an keine Macht, hinter der nicht die Kraft steht und wir glauben nicht an eine Kraft, wenn nicht die einheitliche Willensbildung der Nation die Voraussetzung dazu bildet. Wenn die Gegner sagen, das ist ausgeschlossen, sage ich, das deutsche Volk hat vor den heutigen Parteien schon gelebt und die Parteien werden vergehen und das deutsche Volk wird erst recht leben und besser als zuvor. Sie tun immer so, die KPD, die SPD und das Zentrum, als ob die Parteien ewige Erscheinungen wären, die uns schon seit 3 000 Jahren begleitet haben. Ganz gewiß hat das deutsche Volk schon öfters unter einer solchen Zersplitterung gelitten und ist deshalb auch immer erbärmlich zu Grunde gegangen.

aus: 60 000 Pfälzer in Neustadt, in: NSZ Rheinfront, 30. Juli 1932.

[…] Solche Großveranstaltungen stellten auch einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor für die Gauhauptstadt dar. Ungeniert nutzte die Partei daher dieses Argument, um die Neustadter Bevölkerung bei solchen Anlässen zugunsten der Partei zu mobilisieren. Alle sollten Hakenkreuzfahnen aus den Fenstern hängen, damit die Partei auch sehe, wie viel Unterstützung in der Neustadter Bevölkerung für die NSDAP vorhanden sei. Nur dann würden die NS-„Führer“ auch in Zukunft gewillt sein, solche Großveranstaltungen in Neustadt durchzuführen – nichts weniger, als ein unverhohlener […] Erpressungsversuch!

aus: Michael Kißener, Die Verheißung der Volksgemeinschaft. Politische Ziele und propagandistische Mittel der NSDAP in Neustadt, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

SA, SS-Männer, Parteigenossen! Immer wieder taucht das Gerücht auf, nach welchem von Seiten der Eisernen Front und der Kommunisten Terrorakte für die Tage nach der Wahl geplant seien. Zuverläßige Nachrichten bestätigen in mehreren Fällen diese Absichten. Über den Weg von Provokationen soll die Möglichkeit zu solchem Vorgehen ausgelöst werden. Wir halten strengste Disziplin, keiner lässt sich provozieren. Unsere Aufgabe ist, die […] Arbeiter davon zu überzeugen, daß wir kein Blutvergießen wollen und dulden werden. Wir fühlen uns eins mit Eurem gleichen Willen, wenn wir sagen: „Die kommende Volksgemeinschaft hat ihr breites Fundament in unserer eisernen Disziplin“.

Bürckel, Gauleiter
Schwitzgebel, SA-Oberführer Pfalz-Saar
Gaab, stellvertretender SS-Standartenführer Pfalz-Saar

aus: Die Gauleitung erlässt einen Aufruf an die Parteigenossen, in: NSZ Rheinfront, 30. Juli 1932 (Kürzungen von Katharina Kaiser).

Obwohl die NSDAP ihren Stimmenanteil ab 1928 vervielfachen konnte, war die Entwicklung hin zur „Machtergreifung" in und über Neustadt hinaus nicht vorgezeichnet. So gab es auch bei den Reichstagswahlen 1932 Alternativen, wie es die Wahlplakate (M13) aufzeigen. 

• Informiere dich zunächst zur politischen Ausrichtung der in der Galerie M13 genannten Parteien.
• Diskutiere anschließend auf Basis der Galerie M13 zu Wahlplakaten und Wahlprogrammen die unterschiedlichen Optionen der Wähler*innen anlässlich der Reichstagswahlen des Jahres 1932.

Tipp: Du kannst auch eigenständig weitere Wahlplakate recherchieren. Zur Recherche kannst du auf die Webpräsenz „Wahlplakate-Archiv" zugreifen oder die Suchfunktion des Lebendigen Museums Online (LeMO) des Deutschen Historischen Museums nutzen.