2.2 Ideal(isiert)e Geschlechterbeziehungen im Nationalsozialismus?

Die Partner*innenwahl ist für uns heute eine Privatsache. Von Rechts wegen haben grundsätzlich alle Bundesbürger*innen die Möglichkeit, die Partnerin oder den Partner frei zu wählen. Innerhalb einer Ehe kann das Paar entscheiden, wer arbeiten geht, wer sich um die Kindererziehung kümmert und wie die Erziehung gestaltet werden soll. Einschränkungen dieser elterlichen Freiheiten durch den Staat gibt es vor allem dann, wenn die Erziehung durch die Eltern nicht dem Wohl des Kindes dient. Diese rechtliche Freiheit hat sich historisch entwickelt und ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Zur Zeit des Nationalsozialismus galt die Familie als „Keimzelle der Sippe und des Volkes“ und somit als zentraler Bestandteil der Volksgemeinschaft. Ihr kam eine große ideologische Bedeutung zu. Ab 1935 gab es beispielsweise gesetzliche Eheverbote zwischen „Volksgenossen" und Juden*Jüdinnen, die mit der Ideologie der „Rassenhygiene"1 begründet wurden. 1938 wurde das Scheidungsrecht für sogenannte „Fehlehen" gelockert. Als „Fehlehen" galten kinderlose Partnerschaften.

Inwiefern konnten die Geschlechterbeziehungen in Neustadt zwischen 1933 und 1945 selbstbestimmt gestaltet werden? Und welche Rollen kamen Männern und Frauen dabei innerhalb der Familie zu? Um diese Fragen geht es in diesem Unterkapitel.

1. Die konservative Hülle der nationalsozialistischen Geschlechterpolitik

M1: Die Geschlechterbilder in der Volksgemeinschafts-Ideologie


In der Friedrich-Ebert-Straße Hausnummern 36 bis 48 (in der NS-Zeit Kaiserstraße) befindet sich ein Häuserkomplex, der unter Denkmalschutz steht. Das dreigeschossige Gebäude wurde 1936 von dem Architekten Fritz Lutz entworfen. Es wurde für die Familien der Bediensteten der Deutschen Reichspost erbaut. Über den Treppentürmen befinden sich vier Skulpturen der Bildhauer Gustav Adolf Bernd (Kaiserslautern), Fritz Korter (Einsiedlerhof Neustadt), Franz Lind (Freinsheim) und Otto Rumpf (Kaiserslautern). Eine fünfte Skulptur ist heute nicht mehr erhalten.2 Die Figuren stehen auf Sockeln mit thematischen Inschriften. In dem Band Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz werden sie als „bildkünstlerische Darstellungen gesellschaftlicher Werte“3 charakterisiert. Die Bildhauer waren Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste, ihre Entwürfe entsprachen der Form- und Bildsprache des nationalsozialistischen Kunstverständnisses. Es ist gut möglich, dass die Skulpturen in der Friedrich-Ebert-Straße angesichts des 1934 neu aufgelegten Gesetzes zu „Kunst am Bau“ entstanden. Letzteres verpflichtete das Reich, die Länder und die Gemeinden dazu, einen gewissen Prozentsatz öffentlicher Gebäude mit Skulpturen zu versehen.

M2: Vorschlag zur Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes, II. Klasse ohne Schwerter (Neustadt 1942)

Aufgaben

  1. Beschreibe das mit den Skulpturen (M1) propagierte, nationalsozialistische Männlichkeits- und Weiblichkeitsideal.

    Tipp: Nutze hierfür auch die Informationen aus der Info-Box "Kunst im Nationalsozialismus".

  2. Erkläre vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts-Ideologie, warum der Neustadter H. 1939 für das Kriegsverdienstkreuz vorgeschlagen wurde. (M2, Info-Box „Orden und Ehrenzeichen“)
  3. Wie du dem Einführungstext in M1 entnehmen kannst, fehlt in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße eine Skulptur. Angenommen die Skulpturen sollten das nationalsozialistische Männlichkeitsideal veranschaulichen, wie sähe die letzte Skulptur deiner Meinung nach aus? Entwirf eine grobe Skizze inklusive der Inschrift auf dem Sockel. Nimm Stellung zu deinem Entwurf.

    Tipp: Die Autor*innen des Bandes "Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz"7 haben eine Vermutung, was die fehlende Skulptur darstellte. Nachdem du deine Skizze angefertigt hast, kannst du dies in der ersten Fußnote in M1 nachlesen.

M4: Heiratsgesuche aus der NSZ Rheinfront vom 8. bzw. 19. November 1938

Aufgaben

  1. Skizziere anhand von M1 und M3 die Rolle der Frau in der nationalsozialistischen Ideologie.
  2. Erläutere die Mittel, mit denen die Geschlechterrollen in der Gesellschaft verankert wurden (M1-M3).
  3. Analyisere anhand der Heiratsgesuche in M4, inwiefern sich die propagierten Geschlechterrollen in den gewählten (Selbst-)Beschreibungen der Suchenden wiederfinden.
  4. Diskutiere ausgehend von M1-M3 mögliche Gründe für die Ausgestaltung von Geschlechterrollen in der Volksgemeinschafts-Ideologie.

    Tipp: Eine Definition des „Volksgemeinschafts"-Begriffs findest du im Theoriekapitel oder im Lexikonartikel "Volksgemeinschaft".

2. Eine doppel-seitige Geschlechterpolitik

Aufgaben

  1. Beschreibe die in M5 und M6 genannten Themen an den Vortragsabenden der NS-Frauenschaft.
  2. Erkläre ausgehend von M6, der Info-Box zu Pauline Schwitzgebel und der Info-Box „NS-Frauenschaft“, inwiefern Politik eine Rolle in der nationalsozialistischen Frauenarbeit spielte.
  3. Erläutere anhand der Info-Box zu Pauline Schwitzgebel, der Info-Box „Gaufrauenschaftsleiterin“ und dem Glossareintrag „Stadtfürsorgerinnen“ beispielhaft, inwiefern Frauen im NS-Regime politisch tätig waren.

    Tipp: Weitere Biografien von "mächtigen" Frauen wie Else Welcker und Gertrud Dauber findest du im Lexikon.

M8: Neustadter Frauen an der „Heimatfront“

Aufgaben

  1. Fasse den Briefwechsel um die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes an Else Lätsch aus M9 in eigenen Worten zusammen.
  2. Begründe vor dem Hintergrund der konservativen9 NS-Geschlechterpolitik, warum sich der SS- und Polizeiführer in M9 gegen die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes an Else Lätsch aussprach.

    Tipp: Hilfreiche Hinweise findest du im Glossareintrag zu „Orden und Ehrenzeichen im Nationalsozialismus“.

  3. Erläutere ausgehend von M7 und M8, inwiefern sich die Aufgabengebiete der Frauen nach dem Kriegsbeginn 1939 erweiterten.
  4. Überprüfe ausgehend von M5-M7 unter vergleichender Bezugnahme auf die Quellen M1-M4, inwiefern der Begriff "doppel-seitig" die nationalsozialistische Geschlechterpolitik zutreffend charakterisiert.

    Tipp: Weitere Informationen findest du auch in dem Lexikonartikel zu den Neustadter Frauen im Nationalsozialismus.

3. Die Enteignung des (weiblichen) Körpers

M11: Auszüge aus ablehnenden Beurteilungen für die Mutterkreuzvergabe, 1939-1940

Klicke auf einen blauen Punkt, um den Auszug aus dem jeweiligen Gutachten zu lesen. Alle Namen wurden pseudonymisiert (aus: Stadtarchiv Neustadt a.d.W., A 5632; Landesarchiv Speyer, H41 153).

Aufgaben

  1. Gib die in M11 genannten Gründe dafür wieder, dass den Frauen das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ nicht verliehen werden sollte.
  2. Erläutere das Zitat aus der Weisung für die Dienststellen (M10) mit Hilfe der Erkenntnisse aus den Beurteilungen (M11).
  3. Arbeite ausgehend von den Angaben zu Frau Schilling in M11, der Biografie von Emilie Karl sowie einem weiteren der folgenden Materialien beispielhaft heraus, welche Formen unangepasstes Verhalten von Frauen annehmen konnte.
    - Biografie von Käthe Brunner
    - Zeitzeuginnengespräch mit Margot Bechtel (Nr. 3)
  4. Entwickle begründete Thesen dazu, welche Bedeutung die Nichtvergabe eines Mutterkreuzes für die betroffenen Frauen deiner Meinung nach hatte.

M12: Das Eheerlaubnisgesuch von Anna K. und Jakob H., Neustadt 1938 (aus: Stadtarchiv Neustadt a.d.W., OT Haardt 198)

Aufgaben

  1. Fasse den Briefverkehr um das Eheerlaubnisgesuch von Jakob H. und Anna K. in M12 zusammen.
  2. Nimm Stellung dazu, ob von einer regelrechten "Enteignung des weiblichen und männlichen Körpers" im Nationalsozialismus die Rede sein kann.
  3. Setze dich damit auseinander, inwiefern die Artikel 1-6 des Grundgesetzes auch eine Reaktion auf die nationalsozialistische Geschlechterpolitik sein könnten. Recherchiere hierfür die Grundrechte online.

    Tipp: Du findest die Grundrechte auf der Website des Deutschen Bundestages
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