Die Demokratiestadt
Neustadt gehört zu den wichtigsten Orten der deutschen Demokratiegeschichte. So erwarb 1823 eine Gruppe liberal gesinnter Familien das Hambacher Schloss (damals noch „Kastanienburg“) oberhalb der Stadt. Am 29. Juli 1831 versammelten sich dort gut zweihundert Personen zum Gedenken an die französische Julirevolution des Vorjahres und am 20. April 1832 luden 32 Neustadter Bürger zu einem von Philipp Jakob Siebenpfeiffer initiierten politischen Fest. Zwischen dem 27. Mai und dem 1. Juni 1832 fanden sich daraufhin zwischen 30 000 und 40 000 Gäste auf dem Schloss ein, um nationale Einheit und freiheitliche Rechte einzufordern. Auch in den Folgejahren ließen es sich hunderte Menschen trotz massiver staatlicher Repressionen nicht nehmen, an Pfingsten auf den Schlossberg zu wandern. Die Stadt bildete also ein oppositionelles Zentrum der Vormärzjahre.
Neustadt und Frankreich – eine besondere Beziehung
Die Demokratiestadt Neustadt ist ohne Frankreich kaum denkbar. Neustadt und Frankreich – dies beschreibt räumlich und historisch eine besondere Beziehung. Immerhin liegen zwischen Neustadt und München mehr als 280 Kilometer, während Straßburg keine 90 Kilometer und die französische Grenze nicht einmal 40 Kilometer entfernt ist. Zwischen 1796 und 1815 gehörte ein Großteil der Pfalz und damit auch Neustadt als Teil des Départements du Mont-Tonnerre (Donnersberg) zu Frankreich. Die Französische Revolution und ihre Errungenschaften prägten die Menschen und auch nach dem Anschluss an das Königreich Bayern im Jahre 1816 behielt die Pfalz ihre sogenannten „französischen Institutionen“, also die grundsätzlich entschädigungslose Aufhebung von Feudalrechten, die Gewerbefreiheit, die unbegrenzte Niederlassungsfreiheit sowie die durch den Code Civil garantierte rechtliche Gleichheit aller Bürger. Infolgedessen konnte die Pfalz als die modernste Region des Deutschen Bundes gelten. Es erschien kaum vorstellbar, dass keine 125 Jahre später Deutschland die lothringischen Moseldepartements annektieren, eine auf rassistischer Ungleichheit basierende Gewaltherrschaft installieren und dabei wesentliche Entscheidungen von Neustadt aus getroffen würde(n).
Weintradition
Die Pfalz und der Wein
Weinbau hat in den fruchtbaren Rheinebenen der Vorderpfalz eine lange Tradition. 1935 war die Pfalz mit einer Rebanbaufläche von 16 000 Hektar und einem Anteil von 27,8 Prozent der reichsweiten Produktion das größte Weinanbaugebiet im Deutschen Reich.
Der Weinbau in der Pfälzer Landwirtschaft
Die pfälzische Landwirtschaft bestand überwiegend aus familiären Kleinbetrieben mit weniger als fünf Hektar Land, von dem nur ein Bruchteil dem Weinbau gewidmet wurde. Trotzdem sicherte der Wein als Sonderkultur den Winzerfamilien häufig die Existenz.
Neustadt und der Wein
Der Weinbau und noch stärker der Weinhandel besaßen für Neustadt eine beachtliche, aber keinesfalls überragende wirtschaftliche Bedeutung. So waren über 40 Prozent der örtlichen Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig. Allein die Internationale Baumaschinenfabrik A.-G. (IBAG) beschäftigte im Jahre 1929 450 Menschen.
Hambach ist nicht mehr Hambach?
Die demokratische Tradition der Pfalz war am Beginn des 20. Jahrhunderts längst vom Nationalismus überwölbt worden. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der regionalen Rezeption des Hambacher Festes. Viele der Protagonisten von 1832 wurden als „Reichsfeinde“ stigmatisiert, die internationale Dimension des Frühliberalismus als „undeutsch“ diskreditiert. Die „Jörgenfeste“ des Hambacher Pfälzerwald-Vereins präsentierten sich ab 1913 nur noch als christlich geprägte Volksfeste, die unverbrüchliche Treue zu Kaiser und Reich signalisierten. Dieses geistige Nahverhältnis zwischen der Pfalz und dem Kaiserreich stellte nach dessen Untergang eine nicht zu unterschätzende Hypothek dar, zugleich bot die Weimarer Republik neue Chancen und der Weg in den Nationalsozialismus war keineswegs von vornherein festgelegt. Diese Ambivalenz wurde 1922 deutlich, als der Pfälzer Landesverband der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) 90 Jahre Hambach feierte. Das Jubiläumsfest ließ die erste deutsche Demokratie hochleben und wollte zugleich ein Fest für ein „freies“ Deutschland werden, weshalb explizit auch Deutsche aus den nach 1918 nicht mehr zum Deutschen Reich gehörenden Gebieten eingeladen waren.