1.1 Die Pfalz und Neustadt nach dem Ersten Weltkrieg – Eine besondere Situation?

Wie gut verstehen sich eigentlich Bayern und die Pfalz? Kennst du Erzählungen über die bayerische Zeit, beispielsweise über die „Zwockelsbrücke“ und über die „Zwockel“? So nannten die Neustadter*innen etwas abschätzig bayerische Beamte. Du fragst dich sicher, was das mit dem Thema zu tun hat. Die Pfalz war seit 1816 ein Teil von Bayern und behielt diese Zugehörigkeit auch in der Zeit des Nationalsozialismus. 

Vor der NS-Zeit befanden sich die Pfalz und auch Neustadt in einer besonderen Situation. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages standen große Teile des Pfälzischen Gebietes unter französische Besatzungsherrschaft. Die bis in das Jahr 1930 andauernde Besetzung der Pfälzer Gebiete setzte sich in der zeitgenössischen Erinnerung vieler Neustadter*innen als konfliktreiche Zeit der Fremdherrschaft und wirtschaftlicher Einschränkungen fort. Neben Fragen des nationalen Zugehörigkeitsgefühls und der wirtschaftlichen Sondersituation bestimmte vor allem auch das Ringen um politische Ordnungen die öffentliche Wahrnehmung.

In Folge der Ruhrkrise wurde im Herbst 1923 von sogenannten „Separatisten" der nur wenige Monate später scheiternde Versuch unternommen, einen vom Deutschen Reich unabhängigen Staat zu gründen, die „Autonome Pfalz“. Wirft man einen Blick über die Pfalz hinaus, so prägten auch der gescheiterte Hitler-Putsch“ im November sowie die kommunistischen Aufstände im Osten Deutschlands das „Krisenjahr" 1923 bedeutend.

Dieses Unterkapitel widmet sich der bewegten politischen Vorgeschichte des Nationalsozialismus in Neustadt und hilft dir so zu verstehen, wie die NS-Diktatur in Neustadt Fuß gefasst hat.

1. Die französische Besatzung Neustadts nach dem Ersten Weltkrieg

M2: In die Heimat versendete Postkarten von 1919 und 1928 in Neustadt stationierten, französischen Soldaten

Aufgaben

  1. Fasse ausgehend von der Info-Box zur Rheinlandbesatzung sowie M1 die wirtschaftliche Situation Neustadts in der Zwischenkriegszeit zusammen.
  2. Erläutere die in M1 dargestellte Wahrnehmung der französischen Besatzungsherrschaft seitens der Neustadter Bevölkerung.
  3. Arbeite unter Bezugnahme auf eine Postkarte deiner Wahl (M2) die Wahrnehmung Neustadts und der pfälzischen Bevölkerung durch die französischen Soldaten heraus.
  4. Ordne deine in Aufgabe 2 und 3 herausgearbeiteten Erkenntnisse zur gegenseitigen Wahrnehmung von Neustadter*innen und Franzosen*Französinnen in den Kontext des deutsch-französischen Verhältnisses der Zwischenkriegszeit ein.

M4: Fotografien der „Befreiungsfeiern“ in Neustadt aus Anlass des Abzuges der französischen Besatzungstruppen und des gleichzeitigen Besuchs des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 19. Juli 1930.

Aufgaben

  1. Analysiere ausgehend von einer oder mehrerer Quelle(n) deiner Wahl aus den Galerien M3 und M4 die Darstellung des Abzugs der französischen Truppen aus Neustadt.

    Tipp: Unter der Galerie findest du auch einen Download-Link, über den du die gesamte Zeitungsausgabe der 'Pfälzischen Bürgerzeitung' vom 30. Juni 1930 einsehen kannst.

  2. a) Arbeite ausgehend von M4 zunächst die Darstellung des Abzugs der französischen Truppen im Jahresbericht des humanistischen Gymnasiums heraus.
    b) Versetze dich nun in die Perspektive eines Pfälzer Schülers oder einer Schülerin, der*die an den schulischen Feierlichkeiten 1930 teilgenommen hat und anschließend in einem Tagebucheintrag davon berichtet.
  3. Vergleiche die zeitgenössische Wahrnehmung des französischen Truppenabzuges (M3-M5) in Neustadt mit der 2020 veröffentlichen Einschätzung der Historikerin Hoff (M6).

M7: Im Juli 2020 in Neustadt aufgenommene Schnappschusserie „Französische Spuren in Neustadt"

Aufgaben

  1. Sieh dir die Zusammenstellung der 2020 in Neustadt entstandenen Schnappschüsse zu französischen Spuren in Neustadt in der Galerie M7 an. Erläutere das vermittelte Bild des Verhältnisses zwischen Neustadt und Frankreich.
  2. Stell dir vor, du arbeitest als Journalist*in an einem Podcast, in dem du die französische Besatzung der Pfalz nach dem Ersten Weltkrieg aus heutiger Sicht kommentierst. Nimm in deinem Podcast Bezug auf das deutsch-französische Verhältnis im Wandel der Zeit.

2. Die Ausrufung der „Autonomen Pfalz“ durch die Separatistenbewegung 1923

M8: 1923 veröffentlichtes Plakat der Regierung der „Autonomen Pfalz“

Klicke auf die blauen Punkte, um die Transkriptionen einzelner Textteile des Plakats zu lesen!

M9: Fotografie einer in Neustadt gehängten „Separatisten-Puppe" (1923)

Eine in Neustadt gehängte „Separatisten-Puppe" vor der Wirtschaft „Zur Talpost".

Aufgaben

  1. Erläutere ausgehend von M8, wie die Separatistenbewegung die Ausrufung der „Autonomen Pfalz“ der Pfälzer Bevölkerung gegenüber darstellte.
  2. Erkläre ausgehend von M9 und unter Bezugnahme auf den historischen Kontext der 1920er Jahre öffentliche Reaktionen der Neustadter Bevölkerung im Hinblick auf die Separatistenbewegung.
  3. Arbeite ausgehend vom M10 den Zusammenhang zwischen französischer Besatzung und Separatistenherrschaft heraus, wie er in dem in Neustadt viel gelesenen Stadt- und Dorfanzeiger hergestellt wurde.

Aufgaben

  1. Diskutiere die Zeitzeugenaussage in M12 unter vergleichender Bezugnahme auf den Lexikonartikel in M11.
  2. Die Historikerin Hoff kommt in einer Veröffentlichung von 2020 (M13) zu folgendem Urteil: „Die aggressive Betonung der deutschen Identität der Pfalz verstärkte sich, als sich mit der 'Autonomen Pfalz' die Befürchtung einer von Frankreich vorangetriebenen Abtrennung der Pfalz zu bestätigen schien - und sie schwächte sich auch nach 1924 nicht ab“. Diskutiere diese These auf Basis deiner Erkenntnisse aus dem vorliegenden Unterkapitel.
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