Separatismus

Gehängte Separatisten-Puppe an der Wirtschaft zur Talpost, 1923. Foto: Stadtarchiv Neustadt, Fotosammlung.

von Sarina Hoff

Während der Ruhrkrise 1923 gewannen in der Pfalz wie im Rheinland separatistische Bestrebungen an Boden, die (anders als vorherige Ideen einer Abspaltung von Bayern) eine vollständige oder zumindest weitgehende Loslösung vom Reich anstrebten. So brachten im November Separatisten um Franz-Josef Heinz aus dem nordpfälzischen Orbis innerhalb einer Woche nahezu die gesamte Pfalz unter Kontrolle und riefen am 12. November die „Autonome Pfalz“ aus. In Neustadt hatten sie bereits am 8. November Finanzamt und Rathaus besetzt (ersteres wurde wenige Tage später wieder geräumt). Dass sie dabei nicht auf Gegenwehr stießen, hatten die französischen Besatzungstruppen durch Kontrolle der Polizei und Postierung eigener Wachen gewährleistet. Ohne solche Unterstützung hätte sich die „Autonome Pfalz“ kaum etablieren können: zu gering war ihr Rückhalt in der pfälzischen Bevölkerung, zu verwaltungstechnisch unerfahren ihre Funktionäre und zu heterogen deren politische Zielsetzungen. Als im Januar 1924 Heinz in Speyer einem Attentat zum Opfer fiel und Frankreich auf britischen Druck seine Unterstützung zurückzog, brach die „Autonome Pfalz“ in sich zusammen und wurde am 17. Februar offiziell aufgelöst.
Von größerer Bedeutung als die kurze Separatistenzeit selbst ist die folgende Polarisierung des politischen Klimas, durch die jeglicher Vorwurf der Zusammenarbeit mit Separatisten oder Besatzungsbehörden zur wirksamen politischen Waffe werden konnte – und von der NSDAP zur Diskreditierung nicht nur einzelner Politiker, sondern des von ihnen repräsentierten politischen Systems überhaupt genutzt wurde. In Neustadt bot Bürgermeister Richard Forthuber hierfür eine besonders prominente Zielscheibe, waren doch schon früh Gerüchte über seine angeblich zu bereitwillige Kooperation mit den Separatisten aufgekommen – auch wenn diese stets von einer breiten Stadtratsmehrheit zurückgewiesen wurden.

Literatur

Gerhard Gräber/Matthias Spindler, Revolverrepublik am Rhein, Bd. 1: November 1918–November 1923. Landau 1992.

Gerhard Gräber/Matthias Spindler, Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24. Ludwigshafen 2005. Die umfassendste Schilderung der separatistischen Herrschaft und ihrer Hintergründe von der Vorgeschichte bis zu ihrer Bekämpfung und ihrem Scheitern. Geht auch auf die in diesem Artikel nicht erwähnten, da für Neustadt weniger relevanten früheren Bestrebungen einer Loslösung der Pfalz von Bayern ein.

Hannes Ziegler, Die Separatismuspolemik in der pfälzischen NS-Presse (1926–1932), in: Wilhelm Kreutz/Karl Scherer (Hrsg.), Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19–1930). Kaiserslautern 1999, 201–228. Dieser Aufsatz beleuchtet die Hintergründe der noch um 1930 herrschenden „Separatistenhysterie“ und die Strategie der NSDAP, diese zur Propaganda und Diffamierung politischer Gegner zu nutzen (u. a. am Beispiel des Neustadter Bürgermeisters).

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