An Orten lernen

Stadtplan Neustadts, vermutlich aus den 1920er Jahren.

Jeder Mensch trägt Erinnerungen in sich. Manche Erinnerungen sind sehr persönlich, manche werden mit der Familie und Freunden geteilt, wieder andere prägen viele Menschen, Regionen oder auch Nationen. Diese in Gesellschaften geteilte und häufig kontrovers diskutierte Erinnerung wird in Bezugspunkten und Ausdrucksformen sehr unterschiedlicher Art konkret. Denkmäler, Rituale und Legenden sind hierfür ebenso Beispiele wie Gedenkstätten und Museen. Auch Straßennamen oder Grabsteine sind solche Zeugnisse der Geschichtskultur in einer Gesellschaft. Es handelt sich um Kristallisationspunkte, an denen sich die Erinnerung und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verdichtet. In Neustadt gibt es viele "Orte der Erinnerung". Einige von ihnen werden ganz bewusst zur Aufrechterhaltung der Erinnerung genutzt, so etwa die Gedenkstätte für NS-Opfer im Quartier Hornbach.

Die Vielfältigkeit dieser Erinnerungslandschaften wird auch durch die Erschließung und Aufarbeitung neuer Orte der Erinnerung geprägt. Oft steht dabei die Frage im Mittelpunkt, welche Deutungen von Vergangenheit in der Gegenwart vermittelt werden sollen. Solch öffentliche Debatten spiegeln, dass sich die durch Erinnerung transportierten Geschichtsbilder stetig neu definieren.

Über die Datenbank Erinnerungsorte für die Opfer des Nationalsozialismus der Bundeszentrale für politische Bildung kannst du selbst nach Orten der Erinnerung recherchieren oder sogar neue Einträge vorschlagen.

1. Schand- oder Denkmal? Die öffentliche Kontroverse um den Umgang mit Josef Bürckels Grabstätte

Nach seinem Tod im Jahr 1944 wurde Josef Bürckel im Ehrenhain des Neustadter Hauptfriedhofs bestattet. Nach Kriegsende bemühten sich die Stadtverantwortlichen um eine Rückführung des Grabes nach Lingenfeld. Im August 1947 beschloss der Neustadter Stadtrat jedoch die Umbettung der Grabstätte in ein Randgebiet des Friedhofgeländes. 2016 schließlich beantragten die Nachkommen Bürckels eine Entfernung des Grabsteins, der allerdings auf Grund der Einstufung als „erhaltenswertes, historisches Denkmal“ seitens der Denkmalbehörde in Mainz nicht stattgegeben wurde. Seitdem bietet der Umgang mit dem Grabstein Bürckels immer wieder Anlass zu kontroversen Diskussionen in der Neustadter Öffentlichkeit.

Nähere Informationen zu Bürckels Grabstein findest du auch im entsprechenden Lexikonartikel.

M1-M3: Stellungnahmen zum Umgang mit dem Grabstein des ehemaligen Gauleiters Josef Bürckel

M4: Bilder des Grabsteins der Familie Bürckel auf dem Hauptfriedhof Neustadt im Jahr 2012 und 2016

Aufgaben

  1. Der Historiker Rummel erklärt und bewertet die Erinnerungskonflikte um Josef Bürckel in einem Interview aus dem Jahr 2019 (Info-Box: Josef Bürckel). Arbeite die Argumente Rummels aus dem Interview heraus.
  2. Arbeite aus den Quellen M1-M3 die verschiedenen Haltungen zum Umgang mit dem Grabstein des ehemaligen Gauleiters Josef Bürckel heraus.
  3. Nimm unter Bezugnahme auf M1-M4 begründet Stellung, welche Form der Erinnerung an Josef Bürckel du persönlich für angemessen hältst.
  4. Fertige einen Entwurf des von Weigel in M1 geforderten „Hinweisschildes“, das am Grab Josef Bürckels aufgestellt werden könnte.

2. Neustadter Straßennamen im Diskurs – seit 1933 Orte der Erinnerung?

Aufgaben

  1. Ordne die nach dem Stadtratsbeschluss vom 27. April 1933 durchgeführten Straßenumbenennungen (M5) in den historischen Kontext ein. Recherchiere in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Namensgebung vor und nach den Umbenennungen.
  2. Erläutere ausgehend von M6, warum 1944 erneut eine Straße in Neustadt nach Josef Bürckel (um-)benannt wurde.

    Tipp: Die Luitpoldstraße heißt heute Konrad-Adenauer-Straße. Die 1933 ebenfalls nach Josef Bürckel umbenannte Heinestraße ist heute die „Schütt“.

  3. Erläutere ausgehend von M7, wie mit jüdischen Straßennamen im Nationalsozialismus umgegangen wurde.
  4. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 erfolgten zahlreiche Straßenumbenennungen, die du der Info-Box entnehmen kannst. Wähle zwei Straßennamen aus und recherchiere zunächst zu den in der NS-Zeit gewählten Namensgebern. Erkläre anschließend, warum eine Umbenennung nach 1945 erfolgte.
  5. Bis heute werden in Neustadt noch immer Straßen zum Gedenken an NS-Opfer um- oder neubenannt. Erläutere ausgehend von M8 die Haltung des Historikers Wunder zu den 1986 erfolgten Straßenneubenennungen.
  6. Diskutiere die in M8 vertretene These des Historikers Wunder, nach der lokale NS-Opfer in der Benennung der Straßen Neustadts unterrepräsentiert sind.
  7. Sind dir in Neustadt oder der Umgebung Straßennamen mit historischen Bezügen zu NS-Opfern bekannt? Recherchiere zu Beispielen deiner Region.

    Tipp: Im Unterkapitel 1.5 findest du weiterführende Informationen zur 2019 erfolgten Umbenennung des Kirchplatzes in Königsbach zum Gedenken an den katholischen Pfarrer Jakob Martin, der 1933 auf Grund seiner Kritik an der NSDAP in „Schutzhaft“ genommen wurde. 

3. Die „Aktion Stolpersteine“ in Neustadt – „Glanz für die Erinnerung“?

Einführungsvideo „Stolpersteine als Orte der Erinnerung" (2020)

Das Einführungsvideo wurde von Hannah Bitzer (Studentin der JGU Mainz) produziert.

Übersicht der in der Neustadter Innenstadt verlegten Stolpersteine

Die kartographische Übersicht geht auf eine Idee der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt zurück (Stand 2020). Die in Geinsheim und Mußbach verlegten Stolpersteine sind nicht auf der Karte ersichtlich, sie erinnern an Betty Grünbaum (geb. Löb), Isidor und Emilie Mané (geb. Lehmann) sowie Leopold und Klara Samson. Auch die in Erinnerung an Camilla Haas und Fanny Bender verlegten Stolpersteine in der Hauberallee sind auf dem Kartenausschnitt nicht enthalten.

Aufgaben

  1. Schaue dir das Einführungsvideo an und erkläre, worum es sich bei Stolpersteinen handelt und woran sie erinnern.
  2. Erläutere ausgehend vom Einführungsvideo den historischen Entstehungskontext der „Aktion Stolpersteine“ in Neustadt.
  3. Arbeite ausgehend von den Quellen M9-M11 die dort vertretenen Haltungen zu Stolpersteinen als Orten der Erinnerung in Neustadt heraus.
  4. Erläutere die im Zeitungsartikel (M12) dargestellte Ausdeutung der Erinnerung, die mit der Putzaktion der Stolpersteine erzielt werden soll.
  5. Die Gedenkstätte Neustadt initiiert für das Jahr 2022 die Verlegung weiterer Stolpersteine. Diskutiere das Vorhaben im Rahmen eines (fiktiven) „Runden Tisches“, zu dem folgende Vertreter*innen eingeladen werden:
  • Vertreter*in der Gedenkstätte für NS-Opfer Neustadt
  • Oberbürgermeister*in Neustadts
  • Nachfahr*innen in Neustadt vom NS-Regime verfolgter Familienmitglieder
  • Bewohner*in der Häuser, vor denen die Stolpersteine verlegt werden

    Tipp: Ihr könnt auch gerne weitere Perspektiven hinzunehmen.

  1. Bewerte die Funktion von Stolpersteinen als Orte der Erinnerung in Neustadt.

    Tipp: Weitere Informationen zur Geschichte der Neustadter Jüdinnen und Juden sowie anderen verfolgten Gruppen im Nationalsozialismus findest du im Kapitel 3.

Auf der Website der Gedenkstätte Neustadt wurden zu den 2002 verlegten Stolpersteinen Informationen in Form von Kurzbiografien zusammengestellt, die du hier herunterladen kannst.

DOWNLOAD

4. Neustadt damals und heute - Anregungen zum projektorientierten Arbeiten

M13: Historische Aufnahmen Neustadts aus den 1930er und 1940er Jahren

Aufgabe

  1. Wähle einen Ort der Erinnerung in Neustadt und recherchiere zu dessen Bedeutung im Nationalsozialismus. Du kannst dich hierzu von den Fotografien (M13) inspirieren lassen. Beschreibe zunächst deine persönlichen Eindrücke der Fotografien.

    Tipp: Achte insbesondere auf die Wirkung der abgebildeten Symbole.

  • Besuche anschließend den von dir ausgewählten Ort und fotografiere oder filme die dortige Umgebung! Vielleicht findest du eine der historischen Bildvorlage ähnliche Perspektive?
  • Vergleiche die historische Bedeutung des Ortes mit seiner aktuellen Funktion.
  • Recherchiere, ob du an dem von dir gewählten Ort Spuren der NS-Vergangenheit finden kannst. Falls ja, beschreibe diese.
  • Beziehe Stellung zur erinnerungskulturellen Aufarbeitung des von dir gewählten Ortes.
  • Präsentiere deine Ergebnisse in einem Produkt deiner Wahl (Videocollage, Vortrag, Erklärvideo).


    Weitere Informationen zum methodischen Umgang mit historischen Fotografien findest du auch im Medienbaustein "Mit Fotografien lernen".

Videocollagen (ausgewählte Beispiele)

Die Friedrichstraße in den 1930ern und 2020
Der Platz der SA (heute Strohmarkt) in Neustadt 1936 und 2020
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