von Markus Raasch
Eine besondere Machtfülle in der NS-Zeit besaßen die Gaufrauenschaftsleiterinnen. Im Rang von Gaufachberatern, später von Hauptabteilungsleitern, gehörten sie zum engsten Führungszirkel der NSDAP. Sie verfügten über eigene Dienstwagen und ein stattliches monatliches Einkommen, das den Verdienst der meisten Kreisleiter deutlich übertraf und sich auf ähnlichem Niveau wie das Gehalt von Landräten bewegte. Ihnen unterstanden im Schnitt neun Abteilungsleiterinnen und sie waren als Arbeitgeberinnen gegenüber dutzenden Geschäftsführerinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern und Hauswirtschaftsmeisterinnen weisungsbefugt. Letztere taten etwa Dienst in der Gaubräuteschule in Pirmasens, die nationalsozialistische Ehelehrgänge anbot, oder der Gauführerschule der NS-Frauenschaft in Annweiler, die der ideologischen Ausrichtung des Führerinnennachwuchses dienen sollte. Die Gaufrauenschaftsleiterin nahm obligatorisch an Besprechungen der Gauleitung teil und traf regelmäßig mit Vertretern anderer Parteiorganisationen zusammen. Sie machte eine intensive Pressearbeit, organisierte Großveranstaltungen und Ausstellungen, unternahm im Parteiauftrag Auslandsreisen und vertrat die Reichsfrauenführerin bei offiziellen Veranstaltungen. Die Gaufrauenschaftsleiterinnen waren in der Folge genau über die Zwangsterilisationen und Euthanasiemorde in ihren Kreisen informiert und hatten u. a. durch Boykottaufrufe und rassenpolitische Schulungen die Shoah in die Wege geleitet. Sie waren federführend, als Anfang 1939 u. a. Alfred Rosenberg und Reinhard Heydrich auf einer großen Tagung 800 Kreisfrauenschaftsleiterinnen zum einen auf die noch zu verbessernde Schlagkraft der „Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ hinwiesen („Hier müssen wir uns und andere zu einem klaren, mitleidslosen Denken erziehen“) und zum anderen auf die europaweite Verfolgung von Jüdinnen und Juden einschworen. Ordentliche Frauenschaftsleiterinnen des Gaues Rheinpfalz/Saarpfalz/Westmark waren in den Jahren des „Dritten Reiches“ Pauline Schwitzgebel, Gertrud Dauber und Else Welcker.
Quellen
NS-Frauenschaft Gauleitung Saarpfalz an das Bürgermeisteramt in Neustadt, 09.07.1940, Stadtarchiv Neustadt A5632.
Kreisfrauenschaftsleiterinnen auf der Ordensburg Krössinsee, in: Nachrichtendienst der Reichsfrauenführung 8, 1939, 4–7.
Literatur
Anette Michel, „Führerinnen“ im Dritten Reich. Die Gaufrauenschaftsleiterinnen der NSDAP, in: Sybille Steinbacher (Hrsg.), Volksgenossinnen. Frauen in der NS-Volksgemeinschaft, 2. Aufl. Göttingen 2017, 115–137. Konzise werden Sozialprofil, Alltag und Verantwortlichkeiten der Gaufrauenschaftsleiterinnen beschrieben.
Markus Raasch, Die Mehrheit der Volksgemeinschaft. Der NS-Staat und die Frauen, die Frauen und der NS-Staat, in: Ders. (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz beleuchtet am Beispiel Neustadts die Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus und die „agency“, die Frauen vor diesem Hintergrund entwickeln konnten. Die Gaufrauenschaftsleiterinnen spielen dabei eine größere Rolle.