Jüdisches Leben in Neustadt vor 1933

Im Jahr 1900 lebten in Neustadt 17 795 EinwohnerInnen, von denen sich 387 zum jüdischen Glauben bekannten.Neustadt nahm insofern eine Sonderstellung ein, als mit einem Prozentsatz von 2,2 der Anteil der jüdischen Bevölkerung sowohl über dem pfälzischen als auch reichsweiten Mittel lag. Bis 1933 ging die Quote zwar zurück, sie blieb aber mit 1,17 Prozent recht hoch, was bedeutet, dass Anfang der 1930er Jahre vergleichsweise viele Jüdinnen und Juden in Neustadt lebten. Beruflich hatten sich die pfälzischen Jüdinnen und Juden besonders im Handelssektor etabliert. Um 1900 gab es in Neustadt nachweislich mindestens 13 Weinhandlungen, die in jüdischem Besitz waren, ferner jüdische Schnittwaren-, Früchte-, Manufaktur-, Leder-, Hopfen- und Eisenwarenhändler, einen Metzger und einen Bäcker. Das religiöse Leben spielte sich vor allem in der Synagoge in der Ludwigsstraße 18–20 abZeitungsberichten über die Eröffnungsfeier im Mai 1867 ist zu entnehmen, dass zu dieser Zeit ein Konfessionen überschreitendes Miteinander bestand und die Feierlichkeiten gemeinsam begangen wurden. Ein ähnliches Bild ergeben Berichte aus dem Jahr 1914 über die Einweihungsfeier des zweiten prominenten jüdischen Gebäudes, dem israeli[ti]schen Altersheim in der Karolinenstraße 119. […] Beleg für die weitreichende Inklusion der jüdischen Bevölkerung war auch ihre rege Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Jüdische Frauen halfen in den Lazaretten bei der Pflege der Verwundeten, mehrere jüdische Männer kamen als Soldaten ums Leben oder kehrten hochdekoriert aus dem Krieg zurück. Auch aus Presseartikeln der 1920er Jahre lässt sich ein weitgehend vorbehaltloser Umgang vermuten.

aus: Laura Charlotte Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Neustadt an der Weinstraße, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020 (Kürzung und Ergänzung von Katharina Kaiser).