Jüdinnen und Juden, Alltag

Stellungnahme des Kaufhauses Weickert, in welchem der Inhaber versichert, dass sein Geschäft „rein arisch“ und frei von „jüdischen […] Kapitalien“ sei, in: Pfälzer Anzeiger, 10. Dezember 1936.

von Laura Leydecker und Markus Raasch

Bis 1938 kam es in Neustadt und Umgebung nicht zu großangelegten Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung, zugleich schritt ihre soziale Aussonderung immer weiter voran. Auf Veranstaltungen von NS-Organisationen wurde antisemitisches Gedankengut ebenso stark verbreitet wie in den Zeitungen. Wer mit „Juden sympathisiert“, sei ein Volksverräter, der es verdiene, „aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen zu werden“ – so war dort zu hören und zu lesen. Im Sommer 1935 wurden an mehreren Ortseingängen Schilder mit Aufschriften wie „Wir lieben unsern Wein – und schützen unser Brot und kommt der Jud herein – gibt’s Weh und Not!“ angebracht, der Aufenthalt in Parkanlagen, Festhallen und Lokalen war der jüdischen Bevölkerung untersagt. Jüdische Mädchen und Jungen sollten nicht länger eine „deutsche“ Schule besuchen, sämtliche Sport- und Kulturvereine führten einen „Arierparagrafen“ ein. Haushaltsgehilfinnen mussten ihren Arbeitsplatz in jüdischen Haushalten räumen, die „Namen gefallener Juden auf Ehrentafeln“ wurden entfernt. Beispielhaft ist das Schicksal des Neustadter Juden Hans Keil, der von der Wirtschafshochschule in Mannheim ausgeschlossen wurde, während sein Bruder Hermann Keil keine Zulassung zum Studium erhielt. Ein beträchtlicher Teil der Neustadterinnen und Neustadter lebte offenbar den Antisemitismus der Volksgemeinschaft. Dies bezeugt etwa ein Vorfall aus Lachen-Speyerdorf, wo ein ortsansässiger Viehhändler durch die Straßen getrieben wurde, versehen mit einem denunziatorischen Schild, das ihn als Juden kennzeichnete. Die SA führte Regie, aber zahlreiche Schaulustige vervollständigten die Szenerie. Im Juli 1935 verprügelten SA-Männer in äußerst brutaler Weise Juden, die sie im Neustadter Volksbad entdeckt hatten – Protest gegen die Aktion ist nicht überliefert. Es gab Neustadterinnen und Neustadter, die heimlich weiterhin Kontakt zu ihren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern pflegten und ihnen in vielfältiger Form Hilfe zuteilwerden ließen. Sie waren aber klar in der Minderheit gegenüber denjenigen, welche die staatlichen Maßnahmen widerstandslos hinnahmen, stillschweigend guthießen oder aktiv förderten.

Quellen

Das Judentum charakterisiert sich selbst, in: NSZ Rheinfront, 07.08.1935.

Judenschilder…, in: NSZ Rheinfront, 01.08.1935.

Pfälzische Bürgerzeitung. Abendausgabe, 28.06.1933, 4.

Literatur

Werner Kalckbrenner, Dr. Karl Strauß, ein jüdisches Lehrerschicksal (1883–1943), in: Staatliches Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium Neustadt an der Weinstraße (Hrsg.), 100 Jahre Gymnasialgebäude. Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium Neustadt an der Weinstraße 1886–1986. Neustadt a. d. W. 1986, 57–62. Der kurze Aufsatz über den bekannten Neustadter Lehrer gehört zu den frühesten Auseinandersetzungen mit der örtlichen Geschichte der Judenverfolgung.

Laura Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz betrachtet die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aus Perspektive der Volksgemeinschaftsforschung, u. a. auf Basis der Akten zum Neustadter Synagogenprozess.

Hannes Ziegler, Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung, in: Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, 103–136. Grundlegender Aufsatz zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Neustadt.

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