von Katharina Kaiser
Der 1920 gegründete Bezirks-, später Ortsverband für Leibesübungen in Neustadt an der Haardt umfasste zum Zeitpunkt seiner Gründung zehn Vereine sowie die Realschule und das Gymnasium Neustadts. Im Januar 1930 beschloss der Stadtrat Neustadt auch die Errichtung eines Stadtamtes für Leibesübungen. Dieses setzte sich insbesondere für die Finanzierung und Förderung von Sportwettkämpfen und -stätten ein. Der Beirat bestand neben städtischen Beamten und Pressevertretern auch aus Mitgliedern des Ortsverbandes für Leibesübungen, des Kartells der freien Arbeitervereine sowie der Neustadter Oberschulen. Die in Neustadt seit Beginn der 1920er Jahre gewachsenen Strukturen des Sportwesens sollten 1933 einen ersten Bruch erfahren. Auf Initiative der NSDAP wurden marxistische wie sozialdemokratische Vereine in Neustadt verboten, darunter auch die Freie Turnerschaft Neustadt an der Haardt. Im gleichen Jahr sind auch mindestens sieben Austritte jüdischer Mitglieder aus Neustadter Sportvereinen belegt. Die im Anschluss auf Reichsebene erlassenen „Richtlinien für den Neuaufbau des deutschen Sports“ trugen schließlich zur Organisation des Verbands- und Vereinswesens nach dem „Führerprinzip“ bei. In Neustadt erfolgte in diesem Zuge die „Selbstauflösung“ des Ortsverbandes für Leibesübungen, die in der Presse als eine auf Initiative des zweiten Bürgermeisters und NSDAP-Kreisleiters Hieronymus Merkle zurückgehende „Umgestaltung“ vermeldet wurde. Die Vereinslandschaft existierte zunächst in ihrer (eingeschränkten) Vielfalt fort, jedoch wurden die Vereine nach nationalsozialistischen Grundsätzen neu und ideologisch aufgeladen organisiert. Anlässlich einer sich 1935 anschließenden Einteilung der Sportvereine in verschiedene Gaue fand sich Neustadt im Gau 13 (Südhessen, Pfalz/Saar) wieder. Als charakteristisch für die frühen Jahre der NS-Diktatur in Neustadt erwies sich die Neugründung zweier Vereine. Neben dem 1934 gegründeten und bis heute existierenden Postsportverein wurde ein Jahr später der Reichsbahn Turn- und Sportverein Neustadt ins Leben gerufen. 1937 schließlich wurden die noch existierenden Vereine, trotz Widerstand, in einen Großsportverein überführt, die Sportgemeinde 1846. Mit Kriegsbeginn stiegen die Sportangebote parteipolitischer Organisationen, wie etwa der HJ, der SS oder auch der Organisation „Kraft durch Freude“. Bis 1945 gelang es den NS-Organisationen jedoch nicht, den Neustadter Vereinssport gänzlich zu ersetzen.
Literatur
Markwart Herzog, Die „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine in Kaiserslautern und der Pfalz in den Jahren 1933 bis 1939. Erfolge und Grenzen der politischen Unterwerfung, administrativen Zentralisierung, kulturellen Homogenisierung und gesellschaftlichen Nivellierung des Fußballsports, in: Markwart Herzog/Sylvia Heudecker (Hrsg.), Die ‚Gleichschaltung‘ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland. Stuttgart 2016, 137–196. Markwart Herzog untersucht in seiner am Pfälzer Raum ausgerichteten Regionalstudie den „Gleichschaltungsprozess“ von Turn- und Sportvereinen, wobei sein Fokus auf den Zielen, deren Umsetzung vor Ort sowie der Rezeption der getroffenen Maßnahmen von 1933 bis zum Kriegsbeginn liegt.
Konstantin Kliem, Sport in der Zeit des Nationalsozialismus. Entwicklung und Zielsetzung im höheren Schulwesen und in der Hitlerjugend. Saarbrücken 2007. Konstantin Kliem zeigt in seiner Monographie die Verflechtungen zwischen dem Sport und staatlich organisierten Jugendorganisationen im Nationalsozialismus auf, wobei er insbesondere auf die Rolle der Hitlerjugend und der Schule als Erziehungsinstanz eingeht.
Andreas Luh, Auf dem Weg zu einem nationalsozialistischen Sportsystem. Von Vereinssport zum parteigebundenen Sport, in: Stadion 31, H. 2, 2005, 181–198. Auf einer breiten Quellenbasis zeichnet Andreas Luh in seinem Aufsatz die Entwicklung des deutschen (Sport-)Vereins- und Verbandswesens hin zu einem nationalsozialistischen Sportsystem bis 1939 nach.