Krieg

Neustadterinnen und Neustadter an der französischen Grenze beim Ausheben von Panzergräben, 1944. Foto: Fotosammlung Hubert Eckel.

von Markus Raasch

Die Jahre des Zweiten Weltkriegs stellten die Volksgemeinschaft vor neue und große Herausforderungen. Die Propaganda agierte umtriebiger denn je, während sich die Mobilisierung radikalisierte. So trieb das NS-Regime z. B. die ohnehin schon weit fortgeschrittene Militarisierung der Jugend weiter voran. 1943 begann der „Kriegshilfeeinsatz der Jugend bei der Luftwaffe“, der männliche Jugendliche, später auch Mädchen auf ihren Dienst bei Flakartillerie vorbereitete. Allein am „Humanistischen Gymnasium“ in Neustadt taten im Schuljahr 1943/44 21 Schüler Luftwaffenhelferdienst. 1945 wurden schließlich auch Hitlerjungen und BDM-Mädchen an Frontabschnitten eingesetzt. Überdies hatten Kinder und Jugendliche kriegswichtige Sonderdienste zu übernehmen. Sie halfen in der Landwirtschaft, bei der Post, der Feuerwehr oder in Industriebetrieben aus, sie betreuten Soldaten, sie sammelten kriegswichtiges Material, sie wurden mit Erwachsenen zu Schanzarbeiten am „Westwall“ herangezogen. Derweil trieb das Regime Verfolgung und Terror auf die Spitze. Verhaftungen durch die Gestapo erhöhten sich allein zwischen 1942 und 1944 um 500 Prozent. Die stark an Bedeutung gewinnenden Sondergerichte gingen rigoros gegen sog. „Volksschädlinge“ vor und sprachen in den beiden letzten Kriegsjahren auf Sitzungen in Neustadt in neun Fällen Todesurteile aus. So brachte der Krieg durchaus tiefgreifende Umgestaltungen mit sich. Was bei Lebensmittelrationierung, Ausgangs- und Kontaktsperren begann, setzte sich mit steigenden Arbeitszeiten, Urlaubsperren, Verdunkelungsvorschriften und weitreichenden Einschränkungen des religiösen Lebens fort. Viele Menschen kamen im Laufe des Krieges an ihre Belastungsgrenze – vor allem seit November 1944, als die Luftangriffe auf Neustadt und Umgebung zum Dauerzustand wurden. In der Folge schien sich die Verweigerung gegenüber der Volksgemeinschaft Bahn zu brechen. Immer mehr zweifelten, immer mehr taten dies vermeintlich durch Wort und Tat kund. Allerdings blieb das meiste Randphänomen, vieles war weniger einer Zunahme nonkonformen Verhaltens als der verschärften Verfolgungspraxis und einer entsprechend größeren Denunziationsbereitschaft willfähriger „Volksgenossinnen“ und „Volksgenossen“ geschuldet. So darf der Zäsurcharakter des Krieges nicht überbetont werden. Die meisten Menschen in Neustadt und Umgebung hielten dem Regime bis zuletzt die Treue.

Literatur

Jeremias Fuchs, Die „kriegerische Volksgemeinschaft“. Strafrechtspraxis am Amtsgericht Neustadt 1939–1945, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz zeigt quellennah auf, dass auch an Amtsgerichten stark auf Verordnungen basierendes Kriegsstrafrecht angewendet wurde und entsprechend ebenso harte wie der Willkür der Richter unterlegene Urteile zustande kamen.

Tobias Hirschmüller, Was wurde der Neustadter Bevölkerung über den Beginn des Zweiten Weltkriegs erzählt? – Inszenierung und Erinnerung in der regionalen Propaganda, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz macht am Beispiel der „NSZ Rheinfront“ bzw. „NSZ Westmark“ deutlich, wie rastlos und voltenreich der nationalsozialistische Propagandaapparat im Zweiten Weltkrieg arbeitete.

Barbara Jahn, „Eine solche Armee besitzt der Feind nicht!“. Die Jugend im Kriegseinsatz 1939–1945, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der quellengesättigte Aufsatz gibt für Neustadt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ausprägungen des jugendlichen Kriegseinsatzes.

Kathrin Kiefer, Alltags- und Familienleben im Ausnahmezustand. Das kindliche Erleben von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz erhellt vor allem auf der Basis von Zeitzeugenbefragungen ein bis heute selten behandeltes Thema: Den Kinderalltag im Zweiten Weltkrieg.

Julia Kreuzburg, Leben in der „Zusammenbruchgesellschaft“. Das Kriegsende, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz arbeitet u. a. mit Hilfe von Zeitzeugenbefragungen die ambivalenten Erfahrungen der Neustadter Bevölkerung am Ende des Krieges heraus.

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