Jüdinnen und Juden, Aprilboykott

Bericht über „Schutzhaftmaßnahmen", u. a. gegen Juden. Pfälzischer Kurier vom 26. Juni 1933. Foto: Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt.

von Laura Leydecker und Markus Raasch

Schon 1926 war im Anzeigenteil der nationalsozialistischen Regionalzeitung „Der Eisenhammer“ zu lesen: „Kauft nur bei Deutschen!“. Es überrascht daher nur bedingt, dass die Boykottmaßnahmen des NS-Regimes gegen jüdische Betriebe in Neustadt bereits vor dem 1. April 1933 begannen. Schon ab dem 10. März wurden SA-Posten vor jüdischen Geschäften aufgestellt und Schilder an den Fensterscheiben mit dem Aufruf „Deutsche, kauft nur in Deutschen Geschäften!“ angebracht. Kurz darauf erklärte der kommissarische Bürgermeister, dass „die Neustadter deutsche Geschäftswelt sich in selbstverständlicher Weise gegen den jüdischen Geschäftswucher und Ramschwarenhandel schützt“. Am 29. März 1933 ging dann in „staatlichen und sonstigen Amtsstellen im Bereich des Regierungsbezirkes Pfalz“ ein Schreiben ein, das für das gesamte Reich den „rücksichtslose[n] Boykott der jüdischen Geschäfte“ ab dem „kommenden Samstag, den 1. April, vormittags 10 Uhr“ ankündigte. Noch im Laufe des Tages wurden die jüdischen Wirtschaftsbetriebe durch die Verhaftung des Metzgers Theodor Mayer, des Zigarettenhändlers Isidor Wohl und des Möbelhändlers Max Siegelwachs dezimiert. Dem Boykott folgten gesellschaftsspaltende Einschränkungen. So wurde bspw. der Theaterverein von Jüdinnen und Juden „gesäubert“. Sieben jüdische Mitglieder traten am 13. April 1933 aus dem Turnverein 1870 aus. Auch aus dem Neustadter Musikverein wurden jüdische Mitglieder ausgeschlossen. Im April 1933 musste Siegfried Cohrssen als langjähriger zweiter Vorsitzender und Mitbegründer des Licht-Luftbades e. V. zurücktreten. Diese ersten antisemitischen Maßnahmen gingen von Verwaltungsseite aus. Sie sind wohl nicht durch Übergriffe der Bevölkerung gekennzeichnet, wurden aber im Regelfall ebenso anstandslos hingenommen wie die zahlreichen „Schutzhaftmaßnahmen“ gegen Juden, die u. a. einen beträchtlichen Teil der Häftlinge im frühen Konzentrationslager in der vormaligen Turennekaserne ausmachten. Unter ihnen befanden sich Kommunalpolitiker wie Gustav Weil (Vorsitzender der SPD Neustadt und Stadtratsmitglied) und Leo Löb (Gemeinderatsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Dritter Bürgermeister in Haßloch).

Quellen

Der Eisenhammer, Dezember 1926.

Heinrich Maria Sauer, Chronik der Stadt Neustadt a. d. Weinstraße. Kampfjahr 1933, 12.03., Stadtarchiv Neustadt (StANW) Bibliothek 191.

Neustadt unter nationalsozialistischer Führung, in: NSZ Rheinfront, 14.03.1933.

Gaupropagandaabteilung der NSDAP Pfalz: Neustadt/Hdt.– den 29.03.1933, StANW J86.

Schreiben von Siegfried Cohrssen, Schreiben der Gebrüder Metzger, Schreiben Paul Bohrmann, Schreiben Friedrich Mayer, Schreiben L. Blum, Schreiben Julius Haas, Schreiben Rudolf Bach, StANW J87.

Literatur

Miriam Breß, Die frühen Verfolgungen. „Schutzhaft“ als Mittel zur Herstellung der Volksgemeinschaft u. Das (frühe) Konzentrationslager Neustadt. „Erziehung zur Volksgemeinschaft“, beide in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Akribisch recherchierte Aufsätze, die auch die Häftlingsgruppe der Jüdinnen und Juden in Augenschein nehmen.

Laura Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz betrachtet die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aus Perspektive der Volksgemeinschaftsforschung, u. a. auf Basis der Akten zum Neustadter Synagogenprozess.

Hannes Ziegler, Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung, in: Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, 103–136. Grundlegender Aufsatz zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Neustadt.

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