Amtsgericht im Krieg

von Jeremias Fuchs

Auch in Neustadt spielte das Amtsgericht (AG) als erste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine besondere Rolle, wenn man auf das Funktionieren von „Volksgemeinschaft vor Ort“ schaut. Obwohl im Bereich der Strafrechtspflege im Verlauf des Krieges eine Bedeutungszunahme der Sondergerichte festzustellen ist, so blieben auch weiterhin die Amtsgerichte der primäre Ort, wo Recht und „Volk“ miteinander in Berührung kamen und nationalsozialistische Rechtspraxis für den Einzelnen erfahrbar wurde. Dies gilt auch für das AG Neustadt, das sich nach 1939 im Bereich der Strafrechtspflege immer auch in „Konkurrenz“ zum Sondergericht Saarbrücken bewegte. Vor dem Hintergrund des Nebeneinanders der beiden Gerichte findet sich die Willkür der Staatsanwaltschaft, auf welcher Grundlage und vor welchem Gericht eine bestimmte Tat angeklagt wurde, etwa auf Grundlage der „Volksschädlingsverordnung“ vor dem Sondergericht oder auf Grundlage des allgemeinen Strafgesetzbuches vor dem Amtsgericht. In Strafsachen wurde vor allem auf Grundlage des größtenteils schon vor 1933 entstanden Strafgesetzbuchs geurteilt, wobei dieses für eine „volksgemeinschaftskonforme“ Rechtspraxis nutzbar gemacht werden konnte. In diesen Fällen diente vor allem die Strafzumessung als Einfallstor für eine Implementierung der Volksgemeinschaftsidee. Ergänzt wurde eine solche Brauchbarmachung des Rechts in den Fällen, in denen ergänzend noch verordnungsbasierte Vorschriften des Kriegsstrafrechts bei der Urteilsfindung zugrunde gelegt wurden, durch eine „volksgemeinschaftsbezogene“ Auslegung auf der Tatbestandsseite. Ein Beispiel bieten die Fälle, in denen unerlaubter Umgang mit Kriegsgefangenen verhandelt wurde. Hier ermöglichte die einschlägige Verordnung eine Verurteilung, wenn der Umgang über das „notwendigste Maß“ hinausging und so „das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt“ wurde.

Quellen

Landesarchiv Speyer J28

Literatur

Michael Kißener, Das Amtsgericht in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Andreas Roth (Hrsg.), 125 Jahre Amtsgerichte im heutigen Rheinland-Pfalz. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. München 2004, 19–35. Der Autor gibt in seinem Beitrag einen kondensierten Überblick über die Entwicklung der Amtsgerichte auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz und die Veränderungen, die diese in der Zeit von 1933 bis 1945 durchmachten. Dabei geht er auch kollektivbiographisch auf die dort tätigen Richter ein.

Paul Warmbrunn, Strafgerichtsbarkeit in der Pfalz und in Rheinhessen im Dritten Reich, in: Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Justiz im Dritten Reich. Justizverwaltung, Rechtsprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz, Teil 1. Frankfurt a. M. u. a. 1995, 337–501. In seinem umfangreichen Beitrag beschreibt der Autor ausführlich die Strafgerichtsbarkeit in der Pfalz und Rheinhessen, wobei, obwohl der Fokus auf den Sondergerichten liegt, auch auf die ordentliche Gerichtbarkeit eingegangen wird.

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