Amtsgericht Neustadt

Amtsgerichtsgebäude in Neustadt, Lindenstraße 15, errichtet 1899/1900, Zustand in den 1950er Jahren. Foto: Stadtarchiv Neustadt, Fotoarchiv, Lindenstraße.

von Paul Warmbrunn

Im Oberlandesgerichts(OLG)-Bezirk Zweibrücken war Neustadt Sitz des zweitgrößten der sechs Amtsgerichte des Landgerichtsbezirks Frankenthal mit 62 423 „Gerichtseingesessenen“ in 19 Gemeinden am 1. Oktober 1937. Mit der durch einen Amtsgerichtsdirektor besetzten Leitungsstelle und im Untersuchungszeitraum bis zu sechs Planstellen für Oberamtsrichter und Amtsgerichtsräte zählte es zu den „großen“ Amtsgerichten. Im Amtsgericht wurden Fälle aus dem Zivil- und Strafrecht bis zu einem gewissen Streitwert sowie aus der Freiwilligen Gerichtsbarkeit verhandelt und entschieden. 1798 als „Friedensgericht“ für den Kanton Neustadt gegründet, seit 1854 „Landgericht“ und seit 1879 unter seinem heutigen Namen, blickte das Neustadter Amtsgericht auf eine lange Tradition zurück. Es war in dem 1899/1900 errichteten, bereits 1914/1915 erweiterten stattlichen Gerichtsgebäude in der Lindenstraße 15 untergebracht. Verlief der Justizalltag am Amtsgericht in den Jahren der NS-Herrschaft – rein äußerlich gesehen – in ruhigeren Bahnen und eher unspektakulär, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die exponierte Stellung Neustadts als „Gauhauptstadt“ der NSDAP auch Auswirkungen auf die Justiz vor Ort hatte. Bereits vor der Machtübernahme konzentrierten sich am Amtsgericht Neustadt die „Altparteigenossen“ – zehn Personen von 51 im gesamten OLG-Bezirk Zweibrücken! – in auffälliger Weise. Außerdem waren die Justizpressestelle für diesen Bereich und mit dieser in Zusammenhang stehende Spezialgerichte an der Neustadter Behörde und nicht in Zweibrücken ansässig. Im Zweiten Weltkrieg blieb das Gebäude des Amtsgerichts Neustadt unbeschädigt – im Gegensatz zu den Sitzen des OLG Zweibrücken und aller Landgerichte sowie vieler anderer Justizstandorte in der Pfalz. Seit 1941 tagte das für den gesamten OLG-Bezirk (einschließlich des Saargebiets, ohne Lothringen) zuständige Sondergericht Saarbrücken häufig dort und fällte dabei auch mehrere Todesurteile gegen Angeklagte aus der gesamten Vorderpfalz, vor allem wegen Plünderungen nach der „Volksschädlingsverordnung“. Wenige Monate vor Kriegsende richtete es dort eine Zweigstelle ein, die jedoch keine große Wirksamkeit mehr entfaltete. Auch die Justiz in Neustadt und das dortige Amtsgericht waren Teil des nationalsozialistischen Unrechtssystems und leisteten ihren Beitrag zur Uniformierung der Volksgemeinschaft und zur Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zur Vernichtung nonkonformer Bevölkerungsschichten.

Quellen

Landesarchiv Speyer G2 390, H3 653, 2095, J1 1425 (mit Plänen), J28; Stadtarchiv Neustadt Fotoarchiv Lindenstraße u. Historische Bauakten, Lindenstraße.

Literatur

Michael Huyer (Bearb.), Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Bd. 19.1: Stadt Neustadt a. d. W. (Kernstadt). Worms 2008, 188–189. Beschreibung aller denkmalwürdigen und -geschützten Bauten in der Kernstadt Neustadt a. d. W. unter kunst- und baugeschichtlichen Gesichtspunkten, mit reichem Fotomaterial.

Karl-Heinz Rothenberger, Die Pfalz im Dritten Reich, Bd. I: Der Staat und die Gemeinden (Stand vom 1. Mai 1938), in: Willi Alter (Hrsg.), Pfalzatlas, Karte 126, Textband III. Speyer 1986, 1623–1639. Knapp gehaltene, immer noch grundlegende Einführung in den staatlichen und kommunalen Verwaltungsaufbau – einschließlich der Justizbehörden – in der Pfalz während des Nationalsozialismus, mit einer thematischen Karte.

Paul Warmbrunn, Die Organisation der Gerichte in der Zeit des Dritten Reiches im Gebiet des südlichen Teils von Rheinland-Pfalz (Pfalz und Rheinhessen), in: Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Justiz im Dritten Reich: Justizverwaltung, Rechtsprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 1. Frankfurt a. M. 1995, 35–61, hier 37–45. Überblick über die Institutionen der ordentlichen und Sondergerichtsbarkeit in der Pfalz und in Rheinhessen im „Dritten Reich“.

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