von Paul Warmbrunn
Das Amtsgerichtsgefängnis in Neustadt war Teil des 1798 dort gegründeten Amtsgerichts. Geleitet wurde es von dessen Vorständen, während der nationalsozialistischen Zeit von den Amtsgerichtsdirektoren Julius Müller (bis 1938) und Otto Renner (1939–1945). Als eigenständiger Gefängnistrakt war es rechtwinklig an das 1899/1900 errichtete und 1914/1915 erweiterte Amtsgerichtsgebäude in der Lindenstraße 15 angebaut. Ursprünglich erfüllte es die Funktion eines Amtsgerichtsgefängnisses zur Untersuchungshaft und Vollstreckung von Gefängnisstrafen bis zu zwei Wochen. Seit Beginn der nationalsozialistischen Zeit wurden dort aber auch Häftlinge der Politischen Polizei und der Gestapo aus politischen oder rassischen Gründen ohne Gerichtsurteil in Polizei- bzw. „Schutzhaft“ genommen. Schon am 10. März 1933 wurden 32 politische Gegner des NS-Regimes festgenommen und zunächst in das Amtsgerichtsgefängnis gebracht, da dessen Kapazität aber bei weitem nicht ausreichte, von dort noch am selben Tag in die (Turenne-)“Kaserne“ überführt, wo die Nationalsozialisten ein frühes Konzentrationslager eingerichtet hatten. Da die Polizeibehörden in der Pfalz über kein eigenes, zentrales Polizeigefängnis verfügten, waren sie darauf angewiesen, auch die Justizhaftstätten für Polizeihäftlinge zu nutzen – eine Entwicklung, die sich nach Einrichtung der Gestapostelle Neustadt 1937 noch verschärfte. Auch nachdem kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein Gestapo-Hausgefängnis im verliesartigen Keller des Neustadter Gestapo-Hauptquartiers eingerichtet worden war, verbrachte die Gestapo weiterhin Polizeihäftlinge in das Amtsgerichtsgefängnis, wo sie teilweise längere Haftstrafen bis zu einem Jahr verbüßten. Im Zweiten Weltkrieg wurden neben „politischen“ Häftlingen auch viele „Ausländer“, vor allem russische, polnische und französische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, von der Gestapo zunächst im Amtsgerichtsgefängnis festgesetzt, um dann von dort in Konzentrationslager, z. B. Dachau, Mauthausen und Ravensbrück, oder in andere Haftanstalten „verschubt“ oder zur Zwangsarbeit abgeholt zu werden.
Quellen
Landesarchiv Speyer H3 1140/I, J1 823,1425, 2056 (jeweils mit Plänen), J89 1–10; Stadtarchiv Neustadt Fotoarchiv, Lindenstraße u. Historische Bauakten, Lindenstraße.
Literatur
Miriam Breß, In „Schutzhaft“ im (frühen) Konzentrationslager Neustadt a. d. Haardt. Hintergründe und Funktion der „Schutzhaft“, in: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 24, 2017, 107–133. Die Autorin hat sich intensiv mit der „Schutzhaft“ in der Pfalz, insbesondere an den Standorten Speyer und Neustadt, beschäftigt und dabei neben der Polizeihaft der Politischen Polizei bzw. Gestapo auch den gerichtlichen Strafvollzug sowie die Wechselbeziehungen beider mit einbezogen.
Martina Ruppert-Kelly, Im Interesse der öffentlichen Sicherheit: Das Schutzhaftlager Neustadt an der Haardt (März – Mai 1933), in: Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – Nie ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt 2005, 137–143. Artikel über das Schutzhaft- bzw. frühe Konzentrationslager in Neustadt in einem Sammelband zur Geschichte der Neustadter Juden mit besonderem Schwerpunkt auf der Zeit des Nationalsozialismus.
Eginhard Scharf, Strafvollzug in der Pfalz unter besonderer Berücksichtigung der JVA Zweibrücken, in: Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Justiz im Dritten Reich: Justizverwaltung, Rechtsprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1995, 757–849, hier 780f. Ausführlichste, auf eingehende Auswertung archivalischer Quellen beruhende Darstellung des Strafvollzugs in der Pfalz im „Dritten Reich“.