Jüdinnen und Juden, Leben vor 1933

Die Synagoge in der Ludwigsstraße 18-20, Jahr der Aufnahme unbekannt. Foto: Stadtarchiv Neustadt, Fotosammlung.

von Laura Leydecker und Markus Raasch

Der Anteil der jüdischen Bevölkerung lag in Neustadt über dem Mittel der Pfalz, wo 1933 schätzungsweise 7 500 Juden in 65 Gemeinden lebten. Während im Jahre 1900 noch 397 Juden in Neustadt wohnhaft waren (2,2 Prozent), machte der Anteil der jüdischen Bevölkerung 1933 mit 266 Menschen immer noch eine Quote von 1,2 Prozent aus. Jüdinnen und Juden gehörten etwa 80 Handels- und sonstige, für das wirtschaftliche Leben der Stadt teilweise bedeutende Gewerbebetriebe. Das religiöse Leben spielte sich vor allem in der Synagoge in der Ludwigsstraße 18–20 ab. Zeitungsberichten über die Eröffnungsfeier im Mai 1867 ist zu entnehmen, dass zu dieser Zeit ein Konfessionen übergreifendes Miteinander bestand und die Feierlichkeiten gemeinsam begangen wurden. Ein ähnliches Bild zeigen Berichte aus dem Jahr 1914 über die Einweihungsfeier des zweiten prominenten jüdischen Gebäudes, dem jüdischen Altersheim in der Karolinenstraße 119. In Redebeiträgen wurde das der „ganzen Stadt zur Zierde“ erbaute Seniorenheim gelobt und der Wunsch formuliert, „dass die Bürger der Stadt sich wie bisher, so auch fernerhin, bei aller Verschiedenheit der religiösen Bekenntnisse, in wahrer Menschenliebe begegnen.“ Konkreter Beleg für die weitreichende Inklusion der jüdischen Bevölkerung war ihre rege Teilnahme am Ersten Weltkrieg, mehrere jüdische Männer kamen als Soldaten ums Leben oder kehrten hochdekoriert aus dem Krieg zurück. Auch aus Presseartikeln der 1920er Jahre lässt sich ein weitgehend vorbehaltloser Umgang vermuten – wenn auch die Judenfeindlichkeit z. B. der christlichen Kirchen oder der Landwirtschaft an anderer Stelle vielfach belegt ist und nicht ohne Rückwirkungen auf Neustadt geblieben sein dürfte. Mit dem Aufkommen der NSDAP etablierte sich dann aber eine Agitationsstimmung gegen die jüdische Bevölkerung. Immer wieder äußerte sich die örtliche Parteipresse der NSDAP antisemitisch, immer wieder wetterten ihre Redner auf Kundgebungen in Neustadt gegen die Juden, wie etwa der spätere Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, auf dem Gautag 1932: „Die Juden allein seien schuld, daß unser Volk sich hinmorde, sie allein seien Schuld [sic], daß dieser Zwiespalt herrsche.“

Quellen

Israelitisches Altersheim für die Pfalz, in: Pfälzische Bürgerzeitung, 11.05.1914.

Zur Weihe des Israelitischen Altersheims, in: Generalanzeiger für Neustadt, Landau und die Vorderpfalz, 09.05.1914.

Gautag der NSDAP, in: Pfälzische Bürgerzeitung, 02.07.1932.

Literatur

Laura Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz betrachtet die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aus Perspektive der Volksgemeinschaftsforschung, u. a. auf Basis der Akten zum Neustadter Synagogenprozess.

Hilde Schmidt-Häbel, Das Israelitische Altersheim für die Pfalz u. Juden in Neustadt um 1900. Die Memoiren der Bertha Bach geb. Samson, beide in: Paul Habermehl/Dies. (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, 67–102. Beide Aufsätze bieten weitreichende Einblicke in jüdisches Leben um die Jahrhundertwende.

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