Jüdinnen und Juden, Reichspogromnacht

Das jüdische Altersheim nach dem Brand in der Reichspogromnacht. Foto: Stadtarchiv Neustadt, Fotosammlung.

von Laura Leydecker und Markus Raasch

Als angeblich gefährlichster Gegner der Volksgemeinschaft wurde die jüdische Bevölkerung mit größter Härte verfolgt. So grassierte in Neustadt ein sich stetig steigender Aussonderungsantisemitismus, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betraf und in extrem gewalttätigen Ausschreitungen am 9./10. November 1938 einen sichtbaren Höhepunkt erreichte. Für die Zerstörung von Geschäften und Privatwohnungen, schwere körperliche Misshandlungen sowie nicht zuletzt die Brände von Synagoge und jüdischem Altenheim, in dem zwei 83-jährige Frauen zu Tode kamen, zeichneten höchstens 50 Männer direkt verantwortlich. Der Großteil von ihnen gehörte der SS an, war von den örtlichen Parteiverantwortlichen aufgehetzt und durch exzessiven Alkoholkonsum in der Gambrinushalle enthemmt worden. Eine weit größere Zahl unterstützte das Pogrom durch Wegsehen oder stilles Einvernehmen. Die vor allem von Nachbarinnen und Nachbarn der Synagoge und des Altersheims alarmierte Polizei griff bewusst nicht ein, der Einsatz des Kupferschmiedes Karl Gustav Hansbach, der direkter Nachbar des Rabbiners war und sich dem Mob mit einem Schmiedehammer entgegenstellte, beschrieb einen Einzelfall. Mitnichten hieß die gesamte Volksgemeinschaft die Gewalt gut, aber die allermeisten sahen sich außer Stande, dies öffentlich zu vertreten – aus Angst, Scham oder Zustimmung. 1949 wurden vor dem Landgericht Frankenthal 16 Personen wegen der Verbrechen der Nacht angeklagt und teilweise verurteilt, woraufhin einige der Beklagten erfolgreich Revisionsverfahren einleiteten. Von 1968 bis 1980 fanden – erfolglos – weitere Verfahren gegen die Brandstifter des Altersheims statt. Rudolf Bernhardt, der einzige auffindbare Täter, verstarb während seines Verfahrens, woraufhin dieses eingestellt wurde.

Literatur

Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, insb. 175–256. Der Sammelband ist das Standardwerk zur Geschichte der Juden in Neustadt, besonders eindrücklich sind die biographischen Skizzen.

Laura Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz betrachtet die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aus Perspektive der Volksgemeinschaftsforschung, u. a. auf Basis der Akten zum Neustadter Synagogenprozess.

Hannes Ziegler, Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung, in: Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, 103–136. Grundlegender Aufsatz zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Neustadt.

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