Besatzungskinder

von Anna Katharina Lill

Der Begriff „Besatzungskinder“ bezeichnet allgemein Kinder, die aus dem Verkehr von Besatzungssoldaten mit Frauen des jeweiligen besetzten Landes oder Gebiets hervorgehen. In der Regel wird der Begriff jedoch spezifisch für die Nachkommen alliierter Besatzungssoldaten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet. Die genauen Zeugungsumstände der Kinder lassen sich häufig nicht rekonstruieren. Sie konnten eine Folge von Vergewaltigungen sein, aber auch längerfristige, romantische Beziehungen spielten eine ebenso wichtige Rolle wie pragmatische „Tauschgeschäfte“ angesichts einer Situation des Mangels, in der eine sexuelle Beziehung den Zugang zu wichtigen Ressourcen ermöglichen konnte. Wie viele Besatzungskinder genau geboren wurden, ist bis heute unklar. Für die französische Zone liegen Schätzungen bei etwa 20 000. Für Stadt und Kreis Neustadt an der Weinstraße kann von der Existenz von ungefähr 200 Besatzungskindern ausgegangen werden, wobei 162 Fälle seitens der französischen Besatzungsbehörden dokumentiert wurden. Letztere bemühten sich im Unterschied zu den anderen Alliierten intensiv um die Registrierung der Nachkommen ihrer Soldaten. Sie gaben Müttern die Option, ihre Kinder unter Aufgabe aller Rechte an den französischen Staat abzutreten. Ziel dieser Politik war es, den französischen Staat durch leicht zu integrierende, gesunde Individuen zu stärken. Die Kinder wurden daher auch nur dann angenommen und an eine französische Adoptivfamilie vermittelt, wenn sie einer gesundheitlichen Begutachtung genügten. Die Mütter befanden sich meist in einer sehr schwierigen ökonomischen und sozialen Situation. Häufig kehrten die Väter nach Frankreich zurück, ohne gegebene Heiratsversprechen einzulösen oder materiell für die Kinder aufzukommen. Von Seiten ihres sozialen Umfelds schlug den Müttern oft Ablehnung entgegen, die sich auf das Kind übertrug. Dieses repräsentierte in den Augen vieler Zeitgenossen die Niederlage im Krieg oder den Verrat der Mütter an der Volksgemeinschaft. Dennoch war die große Mehrheit der Mütter nicht bereit, ihr Kind dem französischen Staat zu überantworten: Während für die französische Zone von etwa zehn Prozent ausgegangen wird, lag die Quote in Neustadt nur bei ca. 5,5 Prozent. Eine öffentliche Debatte über die Kinder und den Umgang mit ihnen entstand in der Bundesrepublik – nach Jahren des Beschweigens und der Exklusion – erst in den 1950er Jahren.

Literatur

Elke Kleinau/Ingvill C. Mochmann, Wehrmachts- und Besatzungskinder. Zwischen Stigmatisierung und Integration, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 16–17, 2015, 34–40. Der Aufsatz bietet eine Darstellung des Forschungsfelds mit aktuellen Fragen und Problemen sowie einschlägige Literatur und ist daher vor allem für einen Einstieg in das Thema zu empfehlen.

Anna Katharina Lill, Die Volksgemeinschaft und die „Besatzungskinder“. Eine Bestandsaufnahme, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Studie zu den Neustadter Besatzungskindern anhand der Akten der französischen Besatzungsbehörden.

Silke Satjukow/Rainer Gries, „Bankerte!“ Besatzungskinder in Deutschland nach 1945. Frankfurt a. M. 2015. Monographie mit umfassender Abdeckung des Themenspektrums „Besatzungskinder“, deren Herzstück der Komplex „Integration und Exklusion“ bildet.

Barbara Stelzl-Marx/Silke Satjukow (Hrsg.), Besatzungskinder. Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland. Wien u. a. 2015. Umfangreicher Sammelband mit Beiträgen zu zonenübergreifenden und -spezifischen Aspekten sowie autobiographischen Zeugnissen von Besatzungskindern.

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