von Miriam Breß
Die erste sozialrassistisch motivierte Massenverhaftungsaktion im NS-Staat richtete sich im September 1933 gegen Menschen, die bettelten (sog. „Bettlerwoche“). Sie traf somit Personen, die auch vor 1933 z. B. durch die weiterhin geltenden Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) von 1871 strafrechtlich verfolgt werden konnten. Das NS-Spezifische der „Bettlerwoche“ lag darin, dass es sich um eine reichsweite Massenverhaftungsaktion handelte, die unter Federführung des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda stand. So wurden in den die Aktion begleitenden Presseartikeln Bettler als Betrüger diffamiert, die angeblich über Einkünfte (z. B. Renten) verfügten, aber als „Arbeitsscheue“ dem „gewinnträchtigen Gewerbe der Bettelei“ nachgingen. Die Aktion war zugleich eine Warnung an die Bettler selbst, ein Mittel um sichtbare Armut aus dem öffentlichen Bild zu drängen und hatte das Ziel, zu einer „regimekonformen Mildtätigkeit“ zu erziehen. Almosen sollten demnach nicht Bettlern gegeben werden, sondern dem Winterhilfswerk. In Neustadt wurden im Rahmen der sog. „Bettlerwoche“ laut Bericht der „NSZ Rheinfront“ insgesamt 33 Bettler gestellt. Etwa zehn Männer, die Hälfte von ihnen war über 55 Jahre alt, kam in Untersuchungshaft, wobei sechs Männer durch Strafbefehl des Amtsgerichts Neustadt zu Freiheitsstrafen von maximal sechs Wochen verurteilt wurden. Der 59-jährige Heinrich Hoffmann wurde bereits im Juli 1933 in Weidenthal wegen Bettelei verhaftet. Er war der erste Mann, der in Neustadt nach der „Machtergreifung“ auf bezirksamtlichen Beschluss in das Arbeitshaus Rebdorf bei Eichstätt auf Dauer von zwei Jahren überwiesen wurde. Von dort wurde er als „Arbeitshausgefangener“ in das Konzentrationslager Dachau überstellt.
Quellen
NSZ Rheinfront, 30.09./01.10.1933; Landesarchiv Speyer J89 1–2, H41 176; Auskunft Gedenkstätte Dachau anhand der Häftlingsdatenbank.
Literatur
Wolfgang Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Stuttgart 1995. Der Autor legt eine umfassende Studie zur sozialrassistischen Verfolgung vor.
Annette Eberle, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Dachau als Ort der „Vorbeugehaft“, in: Wolfgang Benz/Angelika Königseder (Hrsg.), Das Konzentrationslager Dachau. Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression. Berlin 2008, 253–268. Der Aufsatz fokussiert die Häftlingsgruppe der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ im Konzentrationslager Dachau.
Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938. Göttingen 2017. Die Autorin legt eine umfassende und aktuelle Studie vor.
Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 3: Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus. Stuttgart u. a. 1992. Die Autoren beschäftigen sich mit der Armenfürsorge im Nationalsozialismus.