von Miriam Breß
Die nationalsozialistische Machtübernahme bedeutete für zahlreiche Männer, Frauen und Kinder den Verlust der Heimat. Hunderttausende flohen und emigrierten ab 1933 aus Deutschland, weil sie vom NS-Regime verfolgt wurden. Durch Verschärfungen der Verfolgungspraktiken und durch die Expansion des Deutschen Reiches, z. B. den „Anschluss“ Österreichs, nahmen die Flucht- und Emigrationsbewegungen kontinuierlich zu. Im Zweiten Weltkrieg verloren Millionen Menschen unterschiedlicher Nationalität u. a. durch Vertreibungen, Kriegseinwirkungen und Verschleppungen ihre Heimat. Ende des Krieges setzten letztlich Flucht und Vertreibung von Millionen von Deutschen u. a. aus Ostpreußen, Schlesien, dem Sudetenland und den einstigen deutschsprachigen Siedlungen in Ost- und Südosteuropa ein. Nur letzteres ist in der Regel gemeint, wenn von „Flucht und Vertreibung“ oder „Flüchtlingen und Vertriebenen“ die Rede ist. In der unmittelbaren Nachkriegszeit befanden sich so Millionen von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen in den vier deutschen Besatzungszonen. In der französischen Zone, zu der auch Rheinland-Pfalz gehörte, wurden allerdings zunächst kaum Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen. In der Stadt Neustadt befanden sich ausgangs der 1940er Jahre lediglich ca. 700. Dies änderte sich erst 1950. Innerhalb eines Jahres hatte Rheinland-Pfalz 90 000 Flüchtlinge und Vertriebene aufzunehmen und dadurch die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern zu entlasten. Allein in die Pfalz sollten 36 500 Flüchtlinge und Vertriebene umgesiedelt werden. 1 200 von ihnen fanden in der Stadt Neustadt und 3 500 im dazugehörigen Landkreis eine „neue Heimat“. Insgesamt führte die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen im Jahre 1950 zu zahlreichen Konflikten und Abwehrreaktionen. Vielen Einheimischen erschienen sie schlicht „fremd“, d. h. mit einer anderen Kultur, Sprache (Dialekt) und Sitten. Besonders bei der Wohnraumzuweisung kam es zu etlichen Problemen, wobei Einheimische oftmals gewaltsam versuchten, eine Zuweisung zu verhindern. Auf der anderen Seite allerdings unterstützten und halfen viele Einzelpersonen, Berufsgruppen, Parteien und Verbände und trugen damit ihren Teil dazu bei, dass die Aufnahme gelang.
Quellen
Berichterstattung von Die Rheinpfalz, 1950; Stadtarchiv Neustadt 5662, 7634, 8080, 9047; Landesarchiv Speyer H41 328.
Literatur
Arnd Bauerkämper, Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in Deutschland und Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Klaus J. Bade u. a. (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn 2007, 477–485. Der Autor gibt einen kurzen Überblick über deutsche Flüchtlinge und Vertriebene.
Eva Hahn/Hans Henning Hahn, Flucht und Vertreibung, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. I. München 2001, 335–351. Die Autoren beschäftigen sich mit der Erinnerung an Flucht und Vertreibung.
Michael Sommer, Flüchtlinge und Vertriebene in Rheinland-Pfalz. Aufnahme, Unterbringung und Eingliederung. Mainz 1990. Der Autor gibt einen umfassenden Überblick über die Umsiedlungsaktion 1950.
Philipp Ther, Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa. Berlin 2017. Der Autor beschäftigt sich mit Fluchtbewegungen und der Integration von Geflüchteten im Laufe der Geschichte.
Malte Thießen, Schöne Zeiten? Erinnerungen an die „Volksgemeinschaft“ nach 1945, in: Frank Bajohr/Michael Wildt (Hrsg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. 2009, 165–187. Der Autor fokussiert die Erinnerung an Flucht und Vertreibung.