Gauhauptstädte

Karte der Reichsgaue im Jahr 1941.

von Markus Raasch

Die NSDAP war nach Gauen organisiert. 1925 teilte sie Deutschland in 33, nach 1941 dann 43 Gebiete ein, die in Anlehnung an einen Begriff aus der mittelalterlichen Territorialverfassung Karls des Großen Gaue genannt wurden. Als regionale Herrschaftszentren wurden die Gauhauptstädte in ihrer Bedeutung nur noch durch die sog. „Führerstädte“ übertroffen, also Berlin als Reichshauptstadt, München als „Hauptstadt der Bewegung“, Nürnberg als Ort der Reichsparteitage, Linz als „Jugendstadt des Führers“ und Hamburg wegen seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung. Unter den Gauhauptstädten befanden sich Metropolen wie Breslau und Wien, Großstädte wie Köln und Frankfurt a. M. und auch Mittelstädte wie Bayreuth und Weimar. Die Hauptstädte mit der deutlich geringsten Einwohnerzahl waren nach 1933 das für den Gau Niederdonau (bis 1938: Niederösterreich) zuständige Krems (ca. 23 000 Einwohner) sowie das pfälzische Neustadt (ca. 22 000 Einwohner). Neustadt war zudem nicht staatlicher Regierungssitz und nur die siebtgrößte Stadt der Region. Eine weitere Besonderheit bestand darin, dass sich sein administrativer Zuständigkeitsbereich im Laufe der Jahre deutlich erweiterte. Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme war er deckungsgleich mit dem bayerischen Regierungsbezirk und firmierte als Gau Rheinpfalz. Nach der Saarabstimmung im Jahre 1935 kam es indes zur Bildung eines neuen Gaus, der die bisherige „Rheinpfalz“ sowie das wieder an das Deutsche Reich angeschlossene Saargebiet und damit nicht mehr knapp eine Million, sondern mehr als 1,8 Millionen Menschen umfasste. Während dieser zunächst den Namen „Pfalz-Saar“ und zum Jahresbeginn 1936 „Saarpfalz“ erhielt, blieb die Gauleitung mit sämtlichen Dienststellen und Parteigliederungen in Neustadt ansässig. Die Stadt an der Haardt erfuhr sogar noch einen Machtzuwachs, nachdem dort Anfang 1937 eine Staatspolizeistelle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) mit Zuständigkeit für alle pfälzischen Polizeidienststellen gegründet worden war. Im Zuge des Frankreich-Feldzuges expandierte der Gau weiter. Durch die Annexion des lothringischen Moseldepartements lebten in seinem Zuständigkeitsbereich fast 2,6 Millionen Menschen, sein Name wurde im Dezember 1940 in „Westmark“ verändert. Neustadt wurde fortan zwar der Status als Gauhauptstadt aberkannt, allerdings verließen nicht alle Parteiinstanzen die Stadt in Richtung Saarbrücken, Neustadt blieb Wohn- und Dienstort des Gauleiters und damit ein wichtiger Knotenpunkt regionaler NS-Herrschaft.

Literatur

Jürgen John u. a. (Hrsg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“. München 2007. Die Beiträge in diesem Sammelband analysieren die Bedeutung der Gaue im Machtgefüge des NS-Staates und geben so einen soliden Überblick über den Stand der einschlägigen Forschung.

Matthias Gemählich, Von der „Rheinpfalz“ zur „Westmark“. Neustadt und die Expansion des Parteigaus nach Westen, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Dieser konzise und gut lesbare Aufsatz erhellt die Sonderentwicklung des pfälzischen Parteigaues und seiner „Hauptstadt“.

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