von Laura Leydecker und Markus Raasch
Nach der Reichspogromnacht sank die Zahl der Jüdinnen und Juden in Neustadt zusehends, sodass in der Kernstadt im Sommer 1940 nur noch 34 lebten. Nach der verschleierten Annexion der französischen Départements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle planten die zuständigen Gauleiter Robert Wagner und Josef Bürckel eine Aktion (Bürckel-Wagner-Aktion), die beide Gaue „judenfrei“ machen sollte. Am Morgen des 22. Oktober 1940 wurde „alle[n] Personen jüdischer Rasse“ aus Baden, dem Saarland und der Pfalz der Befehl zur Umsiedlung erteilt. Dabei wurde keine Rücksicht auf Alter und Geschlecht genommen, lediglich „in Mischehen lebende Juden“ und „ausländische Juden […] sowie nicht transportfähige Kranke“ waren ausgenommen. Das NS-Regime hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit den umfangreichen Deportationen nach Osten begonnen. Unter den Deportierten befanden sich mindestens 23 Neustadter Jüdinnen und Juden. Namentlich ermittelt werden konnten: Der 57-jährige Ludwig Benedic aus der Gabelsbergerstraße 11, der 62-jährige Adolf Bohrmann und die 62-jährige Melanie Bohrmann aus der Hartmannstraße 7, der 37-jährige Alfred Kern, der 73-jährige Ferdinand Kern, der 41-jährige Ernst Kern sowie die 66-jährige Helene Kern, alle vier aus der Amalienstraße 4, der 71-jährige Theodor Klein aus der Volksbadstraße 3, die 20-jährige Elfriede Klein, der 23-jährige Herbert Klein sowie die 63-jährige Klara Klein, der 55-jährige Weinhändler Julius Kohlmann aus der Hohenzollernstraße 16, die 61-jährige Emma Lehmann aus der Gabelsbergerstraße 7, die 59-jährige Postsekretärin Henriette Löb aus der Arndtstraße 3, das Ehepaar Berta und Richard Mayer, die in der Ludwigsstraße 10 die „Matzenbäckerei“ betrieben hatten, die 67-jährige Ida Mayer aus der Volksbadstraße 3, die 55-jährige Adele Morgenthau, die ein Handarbeitsgeschäft betrieben hatte, ihr 59-jähriger Bruder Daniel Morgenthau, ebenfalls aus der Ludwigsstraße 10, der 55-jährige Ludwig Schlessinger sowie die 47-jährige Selma Schlessinger aus der Harmannstraße 7, die 52-jährige Wollwarenhändlerin Emma Wolff und der 58-jährige Handlungsreisende David Wolff. Hinzu kamen noch mindestens zwölf Jüdinnen und Juden aus Geinsheim, Lachen und Mußbach. Die jüdische Bevölkerung der Pfalz wurde mit Bussen, teilweise auch mit Gestapowagen zu den Sammelstellen in Landau, Kaiserslautern und Ludwigshafen gebracht. Von dort aus ging es für die insgesamt mindestens 6 504 Jüdinnen und Juden nach Châlon-sur-Saône, wo die sieben Züge französischen Beamten überstellt wurden. Die Züge brachten die Jüdinnen und Juden bis nach Gurs, das nördlich der Pyrenäen in Südfrankreich liegt. Viele der Deportierten überlebten den Transport nicht. Der Großteil der Neustadter Jüdinnen und Juden wurde später in weitere Camps verbracht und dort ermordet.
Quellen
Gerhard J. Teschner, Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der deutschen und französischen Judenpolitik. Frankfurt a. M. 2002, 67–72 (Anlage 2, Bericht über die Verschickung von Juden).
Stadtarchiv Neustadt J154–156.
Literatur
Laura Leydecker, Die Volksgemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz betrachtet die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aus Perspektive der Volksgemeinschaftsforschung, u. a. auf Basis der Akten zum Neustadter Synagogenprozess.
Roland Paul, Gedenkarbeit zum Schicksal der Juden in der Pfalz, insbesondere Deportation nach Gurs, in: Gerhard Nestler u. a. (Hrsg.), Braune Jahre in der Pfalz. Neue Beiträge zur Geschichte einer deutschen Region in der NS-Zeit. Kaiserslautern 2016, 398–418. Der wahrscheinlich beste Kenner der Materie betrachtet in diesem Aufsatz die Deportation nach Gurs und die damit zusammenhängenden erinnerungskulturellen Herausforderungen.
Hannes Ziegler, Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung, in: Paul Habermehl/Hilde Schmidt-Häbel (Hrsg.), Vorbei – niemals ist es vorbei. Beiträge zur Geschichte der Juden in Neustadt. Neustadt a. d. W. 2005, 103–136. Grundlegender Aufsatz zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Neustadt.