Kriegsstrafrecht

von Jeremias Fuchs

Um die Volksgemeinschaft während des Krieges wehrhaft gegen vermeintliche innere Feinde zu machen, wurden schon mit, teilweise auch vor Kriegsausbruch das Allgemeine Strafrecht und die strafrechtlichen Nebengesetze um ein besonderes Kriegsstrafrecht ergänzt, das den speziellen Umständen des Krieges Rechnung tragen sollte. Mit der Kriegssonderstrafrechtsverordnung, die bereits am 29. August 1939 (!) in Kraft trat, wurde es mit dem Tode bedroht, den „Willen […] zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“. Mit Kriegsbeginn wurde der Regelungsbereich des Kriegsstrafrechts weiter ausgeweitet, etwa auf die Verfolgung von „Rundfunkverbrechen“ (Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939) oder das Wirtschaftsleben (Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939). Eine besondere Stellung im System des Kriegsstrafrechts besaß die „Volksschädlingsverordnung“ (Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939), die mit ihrem § 4 für jede Straftat die Todesstrafe möglich machte, wenn diese „unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse“ begangen wurde und sie daher nach Maßstab des „gesunden Volksempfindens“ besonders verwerflich schien. Die offene Formulierung der Tatbestände und Strafrahmen in den Verordnungen sowie die Nutzung von Generalklauseln gaben den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz Instrumente in die Hand, um letztlich jedes für abweichend erklärte Verhalten verfolgen und sanktionieren zu können. Verschärft wurde diese Möglichkeit dadurch, dass es an den verhandelnden Sondergerichten zu „verkürzten“ Verfahren kam, die unter Missachtung grundlegender Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafprozesses weniger der Wahrheitsermittlung dienten, als auf eine Aburteilung von angeblichen „Volksschädlingen“ zur breiten öffentlichen Abschreckung abzuzielen.

Literatur

Günter Gribbohm, „Geführte“ Strafjustiz. Reichsgericht und Kriegsstrafrecht im zweiten Weltkrieg. Münster 2009. Der Autor geht in seiner Untersuchung besonders auf Verfahren während des Krieges vor dem Reichsgericht gegen vorgebliche Volksschädlinge, Gewalt-, Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher sowie Wehrkraftzersetzer ein.

Jana Nüchterlein, Volksschädlinge vor Gericht. Die Volksschädlingsverordnung vor den Sondergerichten Berlins. Marburg 2015. Die Autorin analysiert die Rechtsprechungspraxis zur „Volksschädlingsverordnung“ am Beispiel der Sondergerichte Berlins und wirft darauf aufbauend auch einen Blick auf den entsprechenden Strafvollzug und die Strafvollstreckung.

Christine Schoenmakers, „Die Belange der Volksgemeinschaft erfordern …“ Rechtspraxis und Selbstverständnis von Bremer Juristen im „Dritten Reich“. Paderborn 2015. Neben der Frage nach der Volksgemeinschaftsidee und den dort verwirklichten Exklusionspraxen innerhalb von Strafverfahren am Bremer Sondergericht geht die Autorin auch auf die Biographien der beteiligten Richter ein.

Gerhard Werle, Strafrecht als Waffe: Die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939, in: Juristische Schulung 1989, 952–958. In seinem kurzen Beitrag beleuchtet der Autor besonders die „Volksschädlingsverordnung“ und ihre Stellung im System des Strafrechts als Waffe an der „Heimatfront“ während des Krieges.

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