Zeitzeug*innengespräche

von Kathrin Kiefer

Zeitzeug*innengespräche, auch als Oral History-Interviews („mündliche Geschichte“) bezeichnet, dienen in der Geschichtswissenschaft als Methode, bei der zur Bearbeitung einer Forschungsfrage auf die subjektiven Erfahrungen von Personen zurückgegriffen wird, die historische Ereignisse als „Zeitgenossen“ bzw. als „Tat- oder Augenzeugen“ erlebt haben. Sie werden insbesondere bei zeithistorischen Fragestellungen eingesetzt, für die keine bzw. nur wenige andere Quellen überliefert sind. Dies betrifft mitunter gesellschaftliche Gruppen, die im Rahmen von Krieg und Diktatur aufgrund ihrer Distanz zu Obrigkeiten ihre Einstellungen und Haltungen nicht festhalten konnten oder wollten. Seit den Anfängen der Oral History, die sich in (West-)Deutschland Ende der 1970er Jahre etabliert hat, entstanden daher vermehrt regional- und lokalgeschichtliche Zeitzeug*innen-Projekte, die beispielsweise Alltagserfahrungen, Geschlechterverhältnisse oder Widerstands- und Protestbewegungen von Arbeitern, Frauen und Minderheiten untersuchten. Im Zuge eines gestiegenen Interesses an der Kindheitsgeschichte folgten ab den 1990er Jahren auch Oral History-Studien, die die Erfahrungen von „Kriegskindern“ im Nationalsozialismus fokussierten. Da insbesondere Erfahrungen, die von hoher Emotionalität geprägt sind, eindrücklich im Gedächtnis bleiben, beziehen sich die Erinnerungen von Zeitzeug*innen häufig auf Extremsituationen während des Krieges. Die Forschungen zu Neustadt an der Weinstraße im Nationalsozialismus konnten mit Hilfe von Zeitzeug*innenaussagen daher beispielsweise um Perspektiven zu den Kriegsauswirkungen, dem Kriegsalltag sowie dem Kriegsende ergänzt werden, gaben aber auch Aufschluss über die Volksgemeinschaft vor Ort.

Literatur

Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft. Stuttgart 2003, 81–151. Fundierter und umfassender Beitrag zu Begrifflichkeit, Entstehung, Theorie und Methode von Oral History.

Julia Obertreis (Hrsg.), Oral History. Stuttgart 2013. Sammelband mit grundlegenden Beiträgen von Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Disziplinen, die die Oral History in Deutschland begründet haben.

BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen. Erscheint seit 1987 und enthält u. a. neben methodischen Debatten empirische Aufsätze auf Basis von Oral History-Studien.

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