von Barbara Jahn
Im Dezember 1857 als „Kreisirrenanstalt“ gegründet und 1910 umbenannt, konnte die zwischen den südpfälzischen Dörfern Eschenbach und Klingenmünster gelegene Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme bereits auf eine lange Anstaltsgeschichte zurückblicken. Schon um 1927 zählten zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltung, Pflege und Betriebshandwerk zu den Mitgliedern der NSDAP oder galten zumindest als deren Befürworter. Nach dem 30. Januar 1933 trat dann auch ein Großteil der Ärzteschaft in die Partei ein. Tatsächlich jedoch stand Josef Klüber (1873–1936), deutschnational gesinnter Anstaltsdirektor der Jahre 1922 bis 1935, im Gegensatz zu seinem ab 1936 amtierenden Nachfolger Gottfried Edenhofer (1878–1948) den neuen Machthabern ablehnend gegenüber. Dennoch begrüßte Klüber die Einführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933. Allein in den Jahren 1934 und 1935 stellte die Klingenmünster Ärzteschaft rund 3 550 Anträge zur Unfruchtbarmachung, wovon auch mindestens 20 Patientinnen und Patienten aus Neustadt und Umgebung betroffen waren. Darüber hinaus betätigten sich Klüber wie Edenhofer neben weiteren Anstaltsärzten als Gutachter und Beisitzer in Erbgesundheitsverfahren, deren Gerichtssitzungen ab 1934 regelmäßig in den Anstaltsräumen stattfanden. Im Zuge der Vorbereitungen auf den Frankreichfeldzug wurden Anfang September 1939 sämtliche 1 251 Klingenmünster Patientinnen und Patienten in 13 rechtsrheinische bayerische Anstalten verlegt. Mindestens 223 von ihnen deportierte man – wohl mit Wissen der Klingenmünster Ärzteschaft – von dort ab Juli 1940 in die Zwischen- und Tötungsanstalten der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Aktion „T4“. Darunter befanden sich nachweislich fünf Neustadterinnen und Neustadter. Nach der Wiederaufnahme des Klinikbetriebs im Oktober 1940 wurden im Rahmen der dezentralen „Euthanasie“ ab Sommer 1941 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Klingenmünster Patientinnen und Patienten durch Medikamentendosen und Verhungernlassen getötet, allein im Zeitraum 1943 bis 1945 geschätzt 1 880. Zudem verbrachte man in den Jahren 1943 und 1944 körperlich und psychisch erkrankte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Klingenmünster in die Tötungsanstalt Hadamar (Hessen) und verschleppte sog. „sicherungsverwahrte“ Straftäterinnen und Straftäter aus der Anstalt in verschiedene Konzentrationslager. Aktive oder passive Widerstandshandlungen von Seiten der Ärzteschaft oder des Klinikpersonals gegen die genannten Maßnahmen sind nicht bekannt.
Quellen
Landesarchiv Speyer O46; Bundesarchiv Berlin R 179; Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Vom 14. Juli 1933, in: Reichsgesetzblatt Teil I 86, 1933, 529–531; NSZ Rheinfront. Ausgabe Neustadt an der Weinstraße, 1937.
Literatur
Christoph Bayer, Von der „Kreis-Irrenanstalt“ zum Pfalzklinikum. Eine Geschichte der Psychiatrie in Klingenmünster. Kaiserslautern 2009. Die Monographie zeichnet detailliert die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre nach. Im Mittelpunkt steht hierbei die Anstaltspraxis aus Sicht sowohl von Patientinnen und Patienten als auch der in der Heil- und Pflegeanstalt Tätigen.
Karl Scherer u. a., Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster 1933–1945. Kaiserslautern 1998. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster in der Zeit des Nationalsozialismus. Ergänzt werden die Ausführungen durch umfangreiches Dokumentenmaterial.
Theo Wieder (Hrsg.), NS-Psychiatrie in der Pfalz. Eine Wanderausstellung des Pfalzklinikums und des Bezirksverbandes Pfalz. Klingenmünster 2012. Mit Fokus auf der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster gibt der Begleitband zur gleichlautenden Wanderausstellung durch kurze Texte einschließlich Betroffenenporträts einen Überblick über die pfälzische Psychiatriegeschichte und bietet zahlreiches Bild- und Dokumentenmaterial.