von Markus Raasch
Die Neustadter Reichstagswahlergebnisse der ersten Hälfte der 1920er Jahre zeigen die besondere Stärke der beiden am deutlichsten für die Weimarer Verfassung eintretenden Parteien, SPD und Deutsche Demokratische Partei (DDP): Bei den drei Wahlen im Juni 1920, Mai und Dezember 1924 lagen ihre Ergebnisse im Wahlbezirk Neustadt-Stadt über dem Reichsdurchschnitt und für die linksliberale DDP stellte Neustadt eine regelrechte Hochburg dar. Immerhin erzielte die Partei bei der Reichstagswahl 1920 hier mit 24,3 Prozent nahezu das Dreifache ihres Reichsergebnisses, das sie in der übrigen Pfalz nur knapp übertraf. In der Folge machte sich auch in Neustadt der in ganz Deutschland zu verzeichnende Bedeutungsschwund der DDP bemerkbar, bei den Wahlen 1924 lag ihr Stimmenanteil mit 12,5 Prozent aber immer noch weit über dem Reichsergebnis (5,7 Prozent). Ihren Verlusten standen in Neustadt starke Gewinne der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und der katholischen Parteien, Bayerische Volkspartei (BVP) und Zentrum, gegenüber. Die Nationalsozialisten spielten kaum eine Rolle. So erreichte die „Nationalsozialistische Freiheitspartei“, eine Listenverbindung aus Deutschvölkischen und Angehörigen der nach dem „Hitlerputsch“ noch verbotenen NSDAP, bei beiden Reichstagswahlen 1924 in Neustadt einen deutlich geringeren Stimmenanteil als in der übrigen Pfalz bzw. im gesamten Reich. Schon bei den Reichstagwahlen 1928 hatten sich die Verhältnisse jedoch grundlegend gewandelt: Zwar konnte die SPD ihr Ergebnis in Neustadt gegenüber 1924 um zwei Prozentpunkte verbessern. Alle anderen traditionell in der Stadt starken Parteien mussten jedoch erhebliche Einbußen hinnehmen. Größter Gewinner der Wahl war die NSDAP, die in Neustadt auf 11,1 Prozent kam – das war fast das Doppelte des Pfalz- und mehr als das Vierfache des Reichsdurchschnitts. Ihren politischen Durchbruch erlebten die Neustadter Nationalsozialisten dann im September 1930: Mit 23,7 Prozent der Stimmen wurden sie stärkste Partei, wenn auch nur ganz knapp vor der SPD. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 erzielte die NSDAP in Neustadt dann 51,1 Prozent und lag damit fast 14 Prozentpunkte über dem Reichsdurchschnitt. SPD und Zentrum kamen auf jeweils 15,5 Prozent, die KPD auf 11 Prozent, alle anderen Parteien blieben unter 3 Prozent. Bei der Reichstagswahl im November 1932 fiel die NSDAP zwar auf 45 Prozent, am 5. März 1933 lag sie jedoch wieder bei 53 Prozent, SPD und Zentrum bekamen jeweils 14 Prozent, die KPD erzielte knapp 10 Prozent. Die Menschen hatten die Diktatur gewählt. Auf Gemeindeebene fielen die Wahlergebnisse allerdings differenzierter aus. So konnte die NSDAP im März 1933 in Duttweiler, Gimmeldingen, Haardt, Lachen-Speyerdorf und Meckenheim teilweise weit über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen, während in katholisch geprägten Kommunen wie Geinsheim oder Königsbach das Zentrum/BVP mit klarem Abstand dominierte.
Literatur
Sarina Hoff, Weichenstellungen. Neustadt und seine politische Kultur 1918–1932, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz erhellt den Aufstieg der NSDAP, indem er reichsweite Entwicklungen und lokalspezifische Bedingungen korreliert. Ausführlich werden auch die Wahlen thematisiert.
Franz Maier/Martin Hanisch, Ganz normale Männer? Ein Profil der Neustadter NSDAP, SA und SS, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Quellengesättigte Studie zum Führungspersonal und zur sozialen Zusammensetzung von NSDAP, SA und SS in Neustadt, die auch die Wahlgeschichte der NSDAP im Blick hat.
Ergänzungen zu den Wahlergebnissen in der Bildquelle:
1 ab 1930: Staatspartei
² 1924: „Nationalsozialistische Freiheitspartei“
³ Ergebnis der USPD, die KPD stand in der Pfalz noch nicht zur Wahl
4 darunter: Reichspartei des deutschen Mittelstands (Wirtschaftspartei): ca. 7,5 Prozent; DNVP: ca. 3,9 Prozent, „Volksrechtspartei“ ca. 1 Prozent
5 darunter: Reichspartei des deutschen Mittelstands (Wirtschaftspartei): ca. 8,4 Prozent; Christlich-sozialer Volksdienst: ca. 2,9 Prozent; DNVP: ca. 1,4 Prozent.