von Gerhard Wunder
Dr. Hermann L. Oehlert (1877–1954) war in der Weimarer Republik und der NS-Zeit einer der größten und einflussreichsten Unternehmer Neustadts. Sein ausführlicher Fragebogen und die Anhänge in seiner Entnazifizierungsakte kommen einer Autobiographie nahe und geben zusammen mit anderen Quellen tiefe Einblicke in Familie, Vermögen, Einkommen und (wirtschafts-)politische Aktivitäten. Nachdem Hermann Oehlert sein Jura-Studium 1903 in Berlin mit dem Referendarexamen und der Promotion abgeschlossen hatte, übernahm er sofort die florierende Tuchfabrik „J. Oehlert“ zusammen mit seinem älteren Bruder Adolf Oehlert (1873–1961), während der noch ältere Bruder Dr. Gustav Oehlert (1868–1961) bald seinen eigenen Weg mit der Firma „Heid & Co“ ging. Wie üblich wurde Hermann in vielen gesellschaftlichen, gemeinnützigen und beruflichen Organisationen Mitglied, so im Tennisclub, Deutschen Roten Kreuz, Kolonialverein, Kriegerbund, der Deutschen Volkspartei (DVP) und dem Stahlhelm. Der Verband Pfälzischer Industrieller (VPI) wählte ihn 1927 zu einem der stellvertretenden und 1930 zum ersten Vorsitzenden, die Industrie- und Handelskammer der Pfalz 1935 zum stellvertretenden Vorsitzenden. Diese beiden Spitzenämter in der pfälzischen Wirtschaft wurden nach 1933 mehrfach umbenannt und umgegliedert, aber in der Sache bis zum Kriegsende von Oehlert ausgeübt. Er konnte sich dort und in anderen wirtschaftlichen Fachgremien deshalb so lange halten, weil er nach 1933 auch einigen NS-Organisationen beitrat, allen voran 1934/36 [sic] der NSDAP, aber auch der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und dem Reichsluftschutzbund. Besondere politische Aktivitäten sind von Oehlert nicht bekannt. Nach dem Krieg kam er bei der Entnazifizierung mit einer geringen Strafe davon.
Quellen
Landesarchiv Speyer (LASp) R18 E 12460. Entnazifizierungsakte mit Fragebogen.
LASp T88. Verband der pfälzischen Industrie, z. B. Nr. 34035, 34036 Rede Oehlerts 1.11.33, ausländische Arbeiter 12.2.43, 34063 Oehlert 1923–1945, 34159 Abkommen mit SA 1933–1942, 34161 Arisierung, 34165 Lothringer Arbeiter in der Pfalz 1940–1942, 34176 Auftragsbeschaffung für die Pfalz 1933–1941.
LASp J6 38520. Zivilprozess Schlubach gegen Oehlert, Vergleich 01.04.1954.
Stadtarchiv Neustadt Karton Oehlert. Firmengeschichte 1625–2004, besorgt von Dieter Bonn in mehreren unterschiedlichen Exemplaren, undatiert, unpaginiert, Maschinenschrift.
Literatur
Günther Herzog, 40 Jahre Verband der Pfälzischen Industrie. Baden-Baden 1959, 9. Oehlert.
Sibylle Altmayer, Interessenvertretung und Unternehmertum. Neustadt a. d. W. 1994, 100. Oehlert.
1896–1996, 100 Jahre Tennisclub. Neustadt a. d. W. 1996, 13–19, 24. Zu G., A. und H. Oehlert.
Viktor Carl, Lexikon Pfälzer Persönlichkeiten. 2. Aufl. Edenkoben 1998, 513. Beitrag über Hermann Oehlert nach Vorderpfälzer Tageblatt vom 10.05.1952.
Elisabeth Weintz/Paul Habermehl, Das Neustadter Häuserbuch. Neustadt a. d. W. 2005. Nr. 627 Wolfsburgstr. 27, später Villa Hermann Oehlert; Nr. 630 ab 1843 Tuchfabrik J. Oehlert.
Michael Huyer, Stadt Neustadt. Worms 2008. Denkmaltopographie, 232 Quellenstr. 32 Villa Knoeckel, später Heid & Co: 252–255; Schöntalstr. 3 Fabrik: 266–269; Talstr. 231 Villa Adolf Oehlert: 284–287; Wolfsburgstr. 27 Villa Hermann Oehlert.