„Entnazifizierung"

von Markus Raasch

Die „Entnazifizierung“ war in der französischen Besatzungszone vom Sühnegedanken ebenso getragen wie von der Ablehnung der Kollektivschuldthese. Sie mühte sich um Pragmatismus und ein zielgruppenorientiertes Vorgehen, litt aber unter chaotischer Verwaltung. Dessen ungeachtet arbeiteten die zuständigen Spruchkammern durchaus effektiv und zunächst sogar rigoros. In Neustadt wurden immerhin drei wichtige Firmen (die Deutschen Metallwerke GmbH, die Gebr. Mann KG, die Schönung & Co. KG) unter Zwangsverwaltung gestellt. Es gab zahlreiche Entlassungen und entsprechende Neueinstellungen. Ferner wurden ehemalige NSDAP-Mitglieder degradiert oder es galten Beförderungssperren. Nicht wenige Menschen waren teils jahrelang in Haft oder sie bekamen hohe Geldstrafen auferlegt. Allerdings hatten die Spruchkammern in zunehmendem Maße Schwierigkeiten, qualifizierte und politisch unbelastete Personen für die Mitarbeit zu finden und ein substantieller Erfolg war der „Entnazifizierung“ nicht beschieden. Das Gros der Volksgemeinschaft wurde überhaupt nicht belangt. Die meisten Urteile waren vor allem seit 1946 derart milde, dass sich die „Entnazifizierung“ in weiten Teilen zur „Mitläuferfabrik“ entwickelte. Nur vier Personen (0,25 Prozent) wurden in Neustadt und Umgebung als „Belastete“ eingestuft, 71 (4,4 Prozent) als „Minderbelastete“, die Kategorie „Hauptbelasteter“ erhielt keine einzige Zuordnung. Hieronymus Merkle, als Kreisleiter der wichtigste Parteifunktionär vor Ort, betrachtete die Spruchkammer des Internierungslagers Ludwigsburg zwar zunächst als „Hauptbelasteten“, wie so viele andere erreichte er aber durch Revisionsverfahren und Gnadengesuche eine Herabstufung bis zum „Mitläufer“. Die Gründe für diese Entwicklung lagen zum einen auf globalpolitischer Ebene, wo der beginnende „Kalte Krieg“ die Interessen der Alliierten verschob. Zum anderen ließ die „Zusammenbruchgesellschaft“ der Nachkriegszeit, die sich durch Zwangsbewirtschaftung, Wohnungsnot sowie eine zeitweise katastrophale und permanent schlechte Versorgungslage gekennzeichnet sah, materialistische Gesichtspunkte wichtiger als moralische erscheinen. Und nicht zuletzt nährte diese eine wirkmächtige Erzählung, nach der es „die Nationalsozialisten“ und die „Deutschen“ gab: „Die Nationalsozialisten“, das heißt die Führungsriege um Hitler, die SS oder die SA, hatten furchtbare Verbrechen begangen und einen Krieg vom Zaun gebrochen, der dem deutschen Volk größtmögliches Leid eingebracht hat! Das „deutsche Volk“ war sowohl „verführt“ wie „geopfert“ worden und musste nun nach vorne und weg von „den Nationalsozialisten“ schauen!

Literatur

Franz Maier, Aufräumarbeiten an der Volksgemeinschaft. Die Entnazifizierung, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Aus den Spruchkammerakten erarbeiteter Aufsatz, der generelle Entwicklungen ebenso deutlich macht wie er markante Einzelschicksale veranschaulicht.

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