von Eberhard Dittus
Es hat in vielen deutschen Kommunen sehr lange gedauert, bis eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit stattfand und oft geschah dies nur gegen große Widerstände. In Neustadt an der Weinstraße war die Verweigerungshaltung besonders auffällig. Das mag auch darin begründet sein, dass Neustadt als ehemalige „Gauhauptstadt“ und Mittelpunkt der von den Nationalsozialisten geschaffenen „Deutschen Weinstraße“ einen speziellen Platz in der Pfalz einnahm. So ist erst 1985, also 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs festzustellen, dass die Erinnerungsarbeit Fahrt aufnimmt. Der äußere Anlass war die Ankündigung der NPD, ihren jährlichen Bundesparteitag in Neustadt abzuhalten. Als Reaktion auf diese Pläne brachte die SPD-Fraktion im Stadtrat einen Antrag ein, der dazu führte, dass drei Jahre später, am 9. November 1988 im „Klemmhof“ eine Ausstellung mit dem Titel: „Vor 50 Jahren – Neustadt unter dem Nationalsozialismus“ eröffnet wurde. Mit der Konzeption der Ausstellung wurde das Stadtarchiv unter Leitung von Claus-Peter Westrich beauftragt. Die Ausstellungseröffnung an diesem 9. November wurde gewählt, um an die Ereignisse in der Reichspogromnacht von 1938 zu erinnern. Dass die Ausstellung in weiten Teilen der Bevölkerung eine besondere Beachtung erfahren hat, mag auch daran gelegen haben, dass in den präsentierten Dokumenten die Namen der Synagogen-Brandstifter zu lesen waren. Diese Namen mussten nach öffentlichen Protesten „geschwärzt“ werden. Die Ausstellung wurde am 18. März 1989 beendet. Sie zog über 6 000 Besucher an und wurde von Vortragsveranstaltungen sowie vor allem einer intensiven Presseberichterstattung begleitet. Die Ausstellung ist nur noch fragmentarisch erhalten und wurde auch nicht dokumentiert. Aus heutiger Sicht kann sie jedoch als ein „Meilenstein“ in der Aufarbeitung der örtlichen NS-Geschichte bezeichnet werden. Denn durch sie war die Tür nicht mehr zu schließen. Es bestand nicht nur ein wachsendes Interesse an den geschichtlichen Ereignissen der NS-Zeit, sondern es erwuchs in der Bevölkerung auch ein Engagement, das seit den 1990er Jahren vielfältige Aktivitäten bewirkte. 1995 z. B. entstand ein erlebnispädagogisches Projekt von Konfirmanden zur NS-Geschichte in Neustadt, 2002 wurden erste Stolpersteine verlegt und 2009 gründete sich der Förderverein „Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt“, der 2013 eine Gedenkstätte im Quartier Hornbach eröffnen konnte.
Literatur
Eberhard Dittus, „Vor 50 Jahren – Neustadt unter dem Nationalsozialismus“. Eine Ausstellung des Stadtarchivs als „Meilenstein“ in der örtlichen Aufarbeitung der NS-Geschichte, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Der Aufsatz erhellt die Geschichte der wegweisenden Ausstellung in ihren zeitgenössischen Zusammenhängen.